Furtwängler Kompositionen - CD-Aufnahmen & Anmerkungen
Hier ist ein Großteil der CD-Aufnahmen (manche ursprünglich als LP erschienen) mit Werken des Komponisten Wilhelm Furtwängler. Diese ca. 40 Aufnahmen befinden sich alle in meinem privaten Besitz und sind eine reiflich überlegte Auswahl. Die wenigen weiteren Einspielungen sind meines Erachtens nicht wirklich relevant. Ich habe beim zu den hier eingestellten vergleichenden Besprechungen durchgeführten "Hör-Marathon" nochmals erfahren, wie spannend unterschiedlich die Interpretationsansätze der einzelnen Werke sind - sowohl beim Symphonischen wie auch bei der Kammermusik Furtwänglers. Ich versuche hier in Worten die Besonderheiten der Aufnahmen anzudeuten, damit Sie selbst ihre Präferenzen erspüren können. Zudem gebe ich einige Daten zu den Werken. Wilhelm Furftwänglers Kompositionen erschienen bzw erscheinen übrigens fortlaufend bei Erler&Ries als Partitur bzw Noten in der (kritischen) WFGA, der Wilhelm Furtwängler Gesamtausgabe. Die Hauptwerke sind bereits veröffentlicht.
Ouvertüre Es-Dur op.3 (1899)
Alfred Walter / Tschechoslowakische Staatsphilharmonie (Kosice) (30. Juni 1993, Marco Polo)
Die Aufnahmen frühen Orchesterwerke mit Alfred Walter sind sicher nicht optimal gelungen. Die Schwächen dieser CD sind weniger dem verdienstvollen Dirigenten, sondern dem klanglich etwas überforderten Orchester, vielleicht zu wenig zugestandener Probenzeit und der pauschalen Aufnahmetechnik des Labels Marco Polo zuzuschreiben. Dennoch bin ich persönlich dankbar für diese Einspielung, welche zum tieferen Verständnis der Entwicklung des Komponisten beitragen und Erkenntnis dazu befördern, was an seinem reifen Werk das Einzigartige ist.
Die Ouvertüre op.3 ist das Werk eines 13jährigen. Das sollte man sich beim Hören durchaus vor Augen führen. Die Stimmung hat z.T. schumanneskes Flair und ist klassisch gestaltet. Solch eine klar erkennbare Themengestaltung hat Furtwängler in seinen Mannesjahren nicht mehr verwendet - nicht aus Mangel an Einfällen (Themen und Mottos gibt es bei Furtwängler immer in Fülle), sondern weil sein Ansatz des Komponierens sich gewandelt hat. Mehr zu allen kompositorischen Fragen finden Sie auf der Unterseite Furtwängler - Gedanken zu Werken.
Sinfonie D-dur (nur der Kopfsatz) (1902-03, Florenz + Tanneck, UA Breslau)
Alfred Walter / Tschechoslowakische Staatsphilharmonie (Kosice) (12. Februar 1993, Marco Polo)
Der verbliebene erste Satz zu einer entweder nicht vollendeten oder nicht mehr vollständig erhaltenen Sinfonie noch im Stil des Frühwerks. Zu dieser Aufnahme Walters gibt es keine Alternative. Die Aufnahme selbst ist akzeptabel.
Largo h-moll (1906-08, vielleicht schon früher entstanden. Vorstufe zum Kopfsatz der Sinfonie h-moll)
Alfred Walter / Tschechoslowakische Staatsphilharmonie (Kosice) (31. August 1993, Marco Polo)
Das Largo h-moll ist ein Werk aus der langen Übergangsphase (bis mitte der 30iger Jahre) hin zu reifen Werk des Komponisten Furtwängler. Die einzige Aufnahme weist ähnliche Schwächen wie bei der ersten Sinfonie h-moll auf und das ist auch verständlich: das Largo ist eine Art Vorstufe zum Kopfsatz der ersten Sinfonie und ebenso mit spieltechnischen und klanglichen Schwierigkeiten gespickt.
Sinfonie (Nr.1) h-moll (1910er Jahre bis 1941, später Überarbeitungen. Testprobe 1943, danach zurückgezogen)
Alfred Walter / Tschechoslowakische Staatsphilharmonie (Kosice) (3.-8. Mai 1989, Marco Polo)
Diese Sinfonie ist - was die erste(!) Fertigstellung betrifft - nach dem Quintett und den beiden Violinsonaten bereits die vierte der "ausgewachsenen" Kompositionen Furtwänglers. Alfred Walter war - wie auch bei vielen Werken Furtwänglers - hier der "Aufnahme-Pionier". Über die Schwachpunkte der Walter Aufnahmen mit der Tschechoslowakischen Staatsphilharmonie habe ich bereits geschrieben. Auch wenn diese Aufnahme wegen der deutlich sorgsamer produzierten Nachfolger und Strichen(!) keine Relevanz mehr haben wird, so zeigt sie doch das Engagement Walters bezüglich Furtwängler. Schade, dass zur Quellenlage der Noten nichts erwähnt ist.
George Alexander Albrecht / Staatskapelle Weimar (Erst-Aufn. d. Edition v. Albrecht, WFGA) (Kongresszentr. Neue Weimarhalle, 18.+19. März 2000, Arte Nova)
Die erste Aufnahme der ersten vollgültigen und längsten Furtwängler Sinfonie in ihrer kompletten originalen Gestalt. Der Dirigent ist auch Herausgeber der Orchesterwerke der FWGA (Wilhelm Furtwängler Gesamtausgabe). Es war nach der cis-moll Sinfonie seine zweite Einspielung des Sinfonienzyklus. Der aufnahmetechnische Aspekt ist deutlich besser gelungen als bei der dritten Sinfonie, was sicher auch an der besser gewählten Aufnahmelokalität liegt. Die Interpretation zeigt die Komplexität, Größe, Vision und instrumental raffinierte Klangschönheit. Die Grenzen des Orchesters sind zwar spürbar, aber diese sind viel weiter abgesteckt als bei der CD mit Walter.
Fawzi Haimor / Württembergische Philh. Reutlingen (Edition v. Albrecht, WFGA) (Studio d. Württemb. Philh. Reutlingen, 6.-8. März + 1.-4. Oktober 2019, CPO)
Die Württembergischen Philharmonie Reutlingen unter Fawzi Haimor und auch das Aufnahmeteam von CPO haben hier bis dato die Referenzaufnahme zustande gebracht. Der Dirigent führt das in allen Registern glänzend disponierte Orchester ohne aufgesetzte Balance- oder Tempoeffekte, aufmerksam und mit untrüglichem Gespür für Furtwänglers "Ton" und Aussage durch diese äußerst anspruchsvolle Sinfonie, welche er auch in allen Einzelheiten völlig verinnerlicht hat. So werden die zum Teil haarsträubenden Melodielinien, Querständen und Modulationen (z.B. in der Coda des Finales) sehr klar, überzeugend, ohne Hektik und klanglich edel und mächtig (besonders Lob dem ganzen und im besonderen dem tiefen Blech!) ausgeführt. Die Streicher wissen um den wichtigen Schmelz und das Holz klingt nie unedel oder scharf und dort solistisch, wo es sein soll. Eine Fülle an sinnvollen harmonischen, rhythmischen und figurativen Details ist wirklich zu hören, nicht nur als unsauberes ungelenkes Beiwerk. Das Orchester gelingt eine dem gigantischen Werk angemessenen "Größe" des Klangs (auch und besonders durch die genaue Ausführung der angegebenen Dynamik!), es gibt nichts über das man "hinweghören" muss. Bei aller instrumentaler Stärke und Raffinesse des Klangkörpers: Ohne das Ohr, die Probenarbeit und das tiefe Verständnis von Fawzi Haimor wäre wohl dieses Ergebnis nicht zustande gekommen!
Die Tontechnik von CPO schafft ein - für dieses Label bei großen Orchesteraufnahmen typisches - leicht verhangenes Klangbild (etwas matt, der typisch "CPO-Nebel") bei mittlerer Entfernung (terminus technicus). Die instrumentale Balance (mit kleinen Ausnahmen, z.B. einer etwas zu dominanten große Trommel, besonders im piano im Adagio von Takt 180 bis 187 - hier um Min.14) ist gut gelungen, der Detailreichtum ausreichend und die Farbigkeit der Instrumente gut. Für meine Ohren haben die CPO Aufnahmen (vielleicht durch Zurücknahme bzw. Modifikation von Anteilen von höheren Frequenzen) zumeist eine gewisse akustische Enge oder "Eingesperrtheit", worauf man sich aber einhören kann.
Sinfonie (Nr.2) e-moll (1944-45, teilweise graviernde Revisionen bis 1952, besonders im Finale. Druck Brucknerverlag 1952)
Wilhelm Furtwänger / Philharmonisches Orchester Hamburg (Manuskript-Version 1945) (Musikhalle, 18. Oktober 1948, SWF + )
Die erste der 5 fünf(!) aufgezeichneten und auch veröffentlichten Aufnahmen (vier Konzertmitschnitte, eine Schallplattenproduktion) der e-moll Sinfonie mit dem Komponisten als Dirigenten. Dieser Mitschnitt entstand noch vor Drucklegung des Werks und es gibt deutlich hörbar Stellen (z.B. Finale 23:05 oder 27:10), die für den Druck nochmals verändert wurden. Der Klang ist sehr durchsichtig und vital - denn der legendäre Friedrich Schnapp war hier Aufnahmeleiter. Auch wenn Furtwängler selbst noch nicht die dirigentische Erfahrung mit seinem eigenen Werk hatte, so ist die Interpretation sehr überzeugend und nicht so steif und streng wie die zwei Jahre später entstandene kommerzielle Schallplatte der DGG.
Wilhelm Furtwängler / Berliner Philharmoniker (Jesus-Christus-Kirche Berlin, Dezember 1950, DG)
Die Schallplattenproduktion weist einige Schwachstellen auf. Furtwänglers Dirigat ist seltsam angespannt und die Aufnahmetechnik anscheinend nicht auf die sehr große Orchesterbesetzung eingestellt. Die Balance wäre bei etwas mehr Entfernung und somit Raumklang für das Blech besser gewesen. Dennoch ist die Aufnahme hörenswert. Alles ist gut durchdacht, disponiert und auch gut gespielt. Ich möchte aber nicht verschweigen, dass die hohen Streicher bei den Mitschnitten mit dem WPO und sogar dem RSO Stuttgart sauberer als bei den Berliner Philharmonikern klingen - so mein Höreindruck. Es gibt aber auch viele magische Momente in dieser trotz allem überzeugenden Einspielung.
Wilhelm Furtwängler / Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks (live, 15. Dezember 1952, Delta)
Die am schwierigsten aufzufindende der fünf Aufnahmen mit Furtwängler. Orchestral im Kopfsatz und etwas unausgewogen, auch in den Soli, und am Anfang seltsam matt im Dirigat. Vielleicht ist es auch ein Experimentieren Furtwänglers mit der Darstellung seines so komplexen vielschichtigen Werks. Die Aufnahme klingt sehr ordentlich und hat in ihrer fragilen und bisweilen auch scharfen Art einen eigenen Reiz. Es liegt hie und da eine seltsame reale Verlorenheit in diesem Konzertmitschnitt, der über die Empfindungen von Verlust und Trauer hinausgeht.
Wilhelm Furtwängler / Wiener Philharmoniker (live, Musikvereinssaal Wien, 22, Februar 1953, Orfeo)
Außer der Schallplatte ist das Konzert mit den Wiener Philharmonikern wohl die bekannteste der fünf Aufnahmen. Vielleicht hat Furtwängler hier und in der letzten Aufführung mit dem RSO Stuttgart seinen Weg der Interpretation gefunden. Ein sehr gut (und trocken) aufgenommenes Konzert, das noch besser klingen könnte als in der etwas belegten (aber somit zumindest runden) Überspielung von Orfeo hörbar wird. Die Wiener spielen die kolossale Sinfonie instrumental am saubersten von allen fünf Tondokumenten mit Furtwängler.
Wilhelm Furtwängler / Radio Sinfonie Orchester Stuttgart (live, Straßenbahner-Waldheim Stuttgart, 30. März 1954, Grand Slam)
Die letzte und vielleicht auch schlüssigste Interpretation der e-moll Sinfonie durch deren Schöpfer. Die Aufnahme klingt in dem japanischen Transfer von Grand Slam sehr klar und detailreich und dieser ist absolut erste Wahl - andere Transfer (Archipel, Hänssler) sind leider schärfer oder verhallt. Diese Aufführung, die wenige Monate vor dem Tod des Komponisten entstanden ist, lässt das Werk vital und sich natürlich verströmend erklingen. Das RSO spielt erstaunlich sicher und sauber.
Eugen Jochum / S.O. des Bayerischen Rundfunks (live Herkulessaal München, 9.+10. Dezember 1954)
Dieses Konzert war noch zu Lebzeiten Furtwänglers geplant und dieser hätte es nach Eugen Jochums Willen auch selbst dirigieren sollen. Furtwängler lehnte das aber aus zwei Gründen ab. Der ihn selbst betreffende Punkt war, dass er als Komponist wahrgenommen werde wollte und davon nicht durch eigenes Dirgieren seines Werks ablenken wollte. Die von Jochum gewünschte Anwesenheit Furtwänglers (den er sehr bewunderte) bei den Proben kam nicht mehr zustande, da der Komponist zehn Tage (!) von dem Konzert verstarb. So geriet die Aufführung der e-moll Sinfonie unbeabsichtigt zu einem Gedenkkonzert. Eine sehr gute Aufführung mit einem ganz frischen und doch sehr verständigen Geist für das Werk. Sehr guter monauraler Klang. Man kann dieser Aufnahme getrost eine ähnliche Bedeutung zuschreiben wie der 1956ziger Aufführung der Dritten mit Keilberth.
Takashi Asahina / Osaka Philharmonic Orchestra (live, Bunka-Kaikan Hall Tokio, 2. Juli 1984, Victor Japan)
Ein Sprung von 30 Jahren seit der letzten Tonaufnahme führt ins digitale Zeitalter und zu einer hervorragenden Aufnahmetechnik. Takashi Asahina ist in Japan eine Dirigenten-Legende und er gilt als ausgewiesener Spezialist für Bruckner. Asahina ist auch weltweit bekannt und geschätzt und es gibt ganz wunderbare Mitschnitte von Gastdirigaten - z.B. mit dem CSO die 5te und 9te Bruckner. Unter seiner Stabführung klingt das Osaka Philh. Orch. in der akustisch hervorragenden Bunka-Kaikan Hall ausgezeichnet. Der Kopfsatz erscheint so einfach und leicht wie ein Kinderlied, da sowohl der Dirigent als auch das Orchester das Werk vollkommen verinnerlicht haben. Wer Perfektion mit Inhalt und zudem gutem Aufnahmeklang liebt, der kommt an dieser Einspielung (und natürlich der Barenboim Aufnahme) nicht vorbei.
Alfred Walter / BBC S.O., London (abweichende Fassung des Finale) (BBC Maida Vale Studio London, 23.+24. Januar 1992, Marco Polo)
Die Aufnahme mit Walter ist aus (mindestens) zwei Gründen interessant. Erstens spielt ein hochklassiges englisches Orchester und zudem wird in der Coda des Finales eine interessante alternative Variante zur Druckfassung gespielt (ab 20:00 min). Die Probenarbeit war wohl wieder knapp bemessen, da sogar dieses höchst professionelle und im Blattspiel äußerst versierte Orchester sind manchen kleineren Schnitzer erlaubt. Ich persönlich verzeihe Walter manches, weil ich immer seine Liebe zu Furtwänglers Musik und seine Vision davon spüre.
Daniel Barenboim / Chicago Symphony Orchestra (Noten: Edition von G.A.Albrecht?) (Orchestra Hall Chicago, 12.-15. Dezember 2001, Teldec)
Mit Sicherheit die Krönung aller Aufführungen der e-moll Sinfonie - zumindest was das Orchesterspiel betrifft. Mich persönlich freut es ungemein, dass gerade der den meisten Klassikliebhaber wohl unbekannte Komponist Furtwängler mit dem CSO geehrt wird. Barenboim ist ein großer Bewunderer des Dirgenten und Komponisten Furtwängler, den er selbst noch als jugendlicher Pianist kennenlernen durfte und in dieser Funktion später auch mehrmals Furtwänglers Symphonisches Konzert für Klavier und Orchester gespielt hat. Das CSO zeigt hier in diesem Live-Mitschnitt der Zweiten u.a., wie brilliant Furtwängler instrumentieren und harmonisieren konnte.
George Alexander Albrecht / Staatskapelle Weimar (Noten: Edition von G.A.Albrecht, WFGA) (Kongresszentr. Neue Weimarhalle, 9.+10. Nov. 2003, Arte Nova)
Nicht mit der Eleganz und Selbstverständlichkeit der Asahina Aufnahme angetan und schon gar nicht mit der Brillianz und orchestralen Architektur der Barenboim Einspielung gesegnet ist die Produktion mit George Alexander Albrecht dennoch sehr hörenswert: Der Dirigent hat höchstes Bewusstsein für die Musik, kennt (als Herausgeber der Partitur) das Werk in und auswendig. Und er stört den musikalischen Fluss nicht durch Effekthascherei oder den Willen, bestimmte Dinge "zeigen" zu wollen. Es gibt viele Details zu hören und alles kann sich so entwickeln wie es in der Partitur angelegt ist und somit auch seine innere musikalische Wesensgestalt entfalten. Die eher kleine Orchesterbesetzung ist durchaus hörbar und die klanglichen, spieltechnischen und besonders dynamischen Grenzen des Ensembles klar gesteckt. In diesem Wissen freut es den aufmerksamen Hörer dann umso mehr, was alles hörbar gemacht werden konnte. Und in dieser Aufnahme quasi aus der zweiten deutschen Orchesterriege steckt auch eine hoffnungsvolle Botschaft und Erkenntnis: Die Musik Furtwänglers ist so stark, so klar und so gut instrumentiert, dass stimmige und das Wesen der Musik erfassende Aufführungen gelingen können, wenn auch nicht ein allererstes Spitzenensemble spielt. Furtwängler selbst hat das ja in den Nachkriegsjahren, als den Umständen geschuldet die Deutsche Orchesterkultur ziemlich am Boden lag, eindrücklich mit den Mitschnitten der Zweiten aus Hamburg, Frankfurt und Stuttgart bewiesen. Es liegt bei dieser komplexen Musik, welche die Orchestermusiker selbst in dichten Stellen nicht mehr als Ganzes wahrnehmen können doch sehr stark am Dirigenten, ob das gelingt. Somit ist diese Aufnahme auch eine eindeutige Referenz für George Alexander Albrecht. Aufnahmetechnisch finde ich diese dritte (und letzte, denn das Sinfonische Konzert ist nicht erschienen) Einspielung mit Albrecht und der Staatskapelle Weimar superb. Absolut ehrlich ohne hörbare eletronische Zutaten. Man sitzt als Hörer quasi im Konzert, was für mich per se - bezüglich Aufnahmetechnik! - wirkliche Klangschönheit bedeutet. Diese Art Ehrlichkeit, die Toscanini als höchstes Lob für Musizieren gesehen hat, betrifft auch die Aufführung selbst und steht für mich quasi als Motto über dieser CD.
Sinfonie (Nr.3) cis-moll (-1954, 4.Satz von Elisabeth Furtwängler autorisiert)
Joseph Keilberth / Berliner Philharmoniker (dreisätzig) (Berlin-Dahlem, 6. März 1956, SFB/WFG)
Nach wie vor unerreicht in Genauigkeit, Bewusstsein, Stimmigkeit und berührender Intensität. Die Berliner spielen ausgezeichnet für Keilberth und die Aufnahme klingt auch hervorragend, trotz mono. Schade, dass 1956 der vierte Satz noch nicht freigegeben war. Andererseits war die Interpretation Keilberths ganz auf die Abgeschlossenheit der Dreisätzigkeit in sich gerichtet. Somit fehlt dieser Aufführung nichts.
Joseph Keilberth / Bamberger Symphoniker (dreisätzig) (Dominikaner Kirche Bamberg, 15. November 1967, privat)
Eine Rarität aus dem Netz, ob die Angaben stimmen? Jedenfalls eine willkommene Interpretation!
Lorin Maazel / Berliner Philharmoniker (dreisätzig) (live, Philharmonie Berlin, November 1979, privater Rundfunkmitschnitt + OOO Classics)
Eine Aufführung zum 25ten Todestag von Wilhelm Furtwängler, welche ich selbst bei den Rundfunkübertragung mitgeschnitten habe. Zudem gibt es eine VÖ des privaten Labels 000 Classics, welche einer Nachbearbeitung bedurfte. Die Freigabe des origianlen Bandes würde natürlich ein adäquateres Bild vermitteln, da die Aufnahme sehr auf Fülle des Klangs ausgerichtet war. Eine farbige sehr effektvolle Aufführung. Die CD von 000 CLassics klingt nach einer MC-Übernahme, die mit einem nicht perfekt passenden Cassetten-Recorder abgespielt wurde, da das Klangergebnis sehr höhenbetont und substanzlos in den Bässen und der Mittellage ist. Ich selbst hatte das Konzert ebenfalls auf MC aufgenommen und mit passendem Gerät auf Tonband überspielt. Trotz der MC-Qualität, zeitweisen Problemen mit dem rechten Kanal und des Kopierverlustes klingt mein eigener CD-Transfer voller und farbiger als der Transfer von 000 Classics.
Wolfgang Sawallisch / Bayerisches Staatsorchester
(dreisätzig)
(live, Nationaltheater München, 7. Januar 1980, Orfeo)
Ebenfalls eine - wenn auch etwas verspätete - Aufführung zum 25 Todestag Furtwänglers. Der von Orfeo veröffentlichte Mitschnitt klingt etwas braver und bedeckter (typisches Orfeo-Klangbild) als es mit von der Rundfunkübertragung und meinen (verloren gegangenen) Mitschnitt in Erinnerung ist. Sawallischs Sicht auf die cis-moll Sinfonie ist klar und quasi klassisch - was eine echte Alternative ist, dem Werk gut tut und keineswegs eine fehlende Intensität oder Emotionalität bedeutet.
Alfred Walter / RTBF Symphony Orchestra, Bruxelles
(viersätzig)
(Maison de la Radio Bruxelles, Dezember 1987, Marco Polo)
Die erste viersätzige(!) Einspielung von Furtwänglers letzter Sinfonie nach der Freigabe des Finales durch Elisabeth Furtwängler. Dieser Satz stand anscheinend "fertiggestellt" (in Anführungszeichen, da Furtwängler sicher noch viel geändert hätte) bei dem Tod des Komponisten auf dem Klavier. Eine sehr wilde Einspielung mit viel Vision, aber auch vielen Unzulänglichkeiten und Unsauberkeiten. Es klingt, als ob sehr wenig Zeit für Proben gewesen wäre oder das Orchester mit dem äußerst anspruchsvollen Werk (z.B. die Streicherfiguren in extremen Lagen) etwas überfordert war. Zumindest war es eine Pioniertat, welche auf Tonträger bis heute leider nur die Albrecht-Aufnahme gefolgt ist.
George Alexander Albrecht / Staatskapelle Weimar
(Erst-Aufn.d. Edition v. Albrecht, WFGA) (Dt. Nationalth. Weimar <Redoute>, 28.+29. Nov. 1998, Arte Nova)
Dies ist die erste Aufnahme des Furtwängler Sinfonien-Zyklus mit dem Dirigenten und Herausgeber der sinfonischen Partituren der WFGA (Wilhelm Furtwängler Gesamtausgabe) G.A. Albrecht. Leider ist die Aufnahme klanglich sehr problematisch geraten: Stumpf, sehr schwach ausgesteuert und mit schlechter Balance. Ich habe anhand der CD "nachgemastert" und das Klangbild etwas verbessern können. Die Aufführung selbst ist deutlich souveräner und auch orchestral sicherer als die mit Walter - leider auch etwas vorsichtig ... um es ebenfalls vorsichtig zu sagen.
Te Deum (-1909)
Hans Chemin-Petit / E.Mathis(S), S.Wagner(A), G.Jelden(T), W.Dooley(B) / Philh. Chor Berlin / Berliner Philh. (live, Philharmonie Berlin, 12. März 1967, SWF)
Von den großen Werken Furtwänglers ist diese Frühwerk das am wenigste ausgereifte. Mir sind zwei Aufnahmen des Te Deum bekannt - die eine mit dem Dirgenten Martin Fischer-Dieskau und die andere (für Eingeweihte legendäre) mit Hans Chemin-Petit. Bei Fischer-Dieskau stimmt zwar alles (da ist z.B. die Sopranistin Christine Schäfer), aber der Aufführung fehlt das, was das Werk ausmacht: die Vision. Der sehr gut klingende Live-Mitschnitt von 1967 wird wohl noch lange konkurrenzlos bleiben. Eine wichtige VÖ der französischen SWF (Societe Wilhelm Furtwängler).
Sinfonisches Konzert für Klavier und Orchester h-moll (1924-37, revidiert 1954, UA 1937)
Wilhelm Furtwängler / Edwin Fischer, Klavier / Berliner Philharmoniker (Alte Philharmonie Berlin, 19. Januar 1939, BP SACD)
Endlich ist diese wunderbare Aufführung trotzdes relativ hohen Rauschanteils erstmals wirklich als Musik zu genießen! Alle vorherigen Ausgaben (Pilz, Dante, Memories u.a.) können dieser hybriden SACD nicht das Wasser reichen - auch nicht deren CD-Seite! Kein Knacksen mehr, das Rauschen auf ein erträgliches Maß reduziert, die Höhen aber nicht beschnitten und kein hinzugefügter Hall. Die Aufnahme selbst hat schon sehr viel Raumklang. Über die Aufführung möchte ich sagen: Solch eine absolute Identifikation mit Werk und Aussage ist heute wohl kaum mehr möglich - oder: heute sind die Mittel andere, um zu berühren. Was hier besonders auffällt ist das Rauschartige des Klangs und die vom Hörer wohl als Delirium empfundenen Steigerungen.
Wilhelm Furtwängler / Edwin Fischer, Klavier / Berliner Philharmoniker (nur 2.Satz Adagio) (Beethovensaal Berlin, 25. April 1939, EMI)
Eine offizielle und sehr gut gelungene Schallplattenaufnahme. natürlich ist der Rauschanteil in den Pianissimo-Abschnitten (z.B. gleich ganz zu Beginn) relativ hoch - kein Wunder, denn der Dynamikumfang ist bedingt durch das sehr große Orchester und die Lautstärkenangaben natürlich immens. Die Interpretation ist etwas gezügelter als beim drei Monate zuvor entstandenen Live-Mitschnitt, aber keineswegs schlechter.
Rafael Kubelik / Erik Then-Bergh, Klavier / S.O. des Bayerischen Rundfunks (revidierte Fassung 1954) (27. Juni 1963, BR/Tahra + Kopie des Masterbandes)
Die erste offizielle Produktion des riesigen Konzerts - nicht für Schallplatte, sondern für den bayerischen Rundfunk. Eine ausgezeichnete Aufführung mit dem leider heute kaum mehr bekannten Erik Then-Bergh. Rafael Kubelik war (ebenso wie Barenboim) ein großer Verehrer der Kunst Furtwänglers. Die Aufnahme ist monaural (Rundfunkanstalten begannen aus Übertragungsgründen erst in den 60ziger Jahren mit Stereo-Produktionen), dennoch ist der Klang hervorragend. Ich selbst besitze eine Kopie des Masterbandes und im Vergleich mit der Tahra CD ist bei letzterer nur ein minimaler Verlust zu konstatieren. Mit diesen Interpreten der neueren Generation klingt das Werk anders als mit Fischer und Furtwängler: Schlanker und weniger sinnlich - wobei beides vielleicht am anders gearteten Klang des S.O des BR liegt. Jedenfalls haben Dirigent und Pianist großes Verständnis für das Werk.
Zubin Metha / Daniel Barenboim, Klavier / Los Angeles S.O. (1971, LP-to-CD Transfer von Phorion-LP, JAW-Records)
Daniel Barenboim ist einer der wenigen Dirigenten, die sich in Wort UND TAT um das kompositorische Erbe von Wilhelm Furtwängler bemühen. Das riesige Sinfonische Konzert für Klavier und Orchester h-moll hat der Pianist und Dirigent in beiden Funktionen öfters aufgeführt. Dieser Mitschnitt hier ist "kurios" - besonders weil nicht abschließend geklärt ist, ob nun unter Zubin Mehtas Leitung das Israel Philharmonic oder das Los Angeles S.O spielt. Als ob dazu nicht einer der beiden Herren ein abschließendes Wort sagen könnte - solange sie noch leben. Es hat wohl keiner gefragt ...
Barenboim und Mehta haben beide einen Zugang zu dieser komplexen und tragischen Musik. Es ist eine sehr berührende Aufführung geworden, welche diese Veröffentlichung auf CD verdient. Die LP ist zumindest theoretisch secondhand greifbar und von einer CD-VÖ des Labels ist hie und da zu lesen (mit CD-Nummer), aber es ist deren Existenz nicht zu verifizieren.
Das Klangbild ähnelt zu Beginn frappierend dem Mitschnitt vom 19.1.1939 mit Wilhelm Furtwängler und Edwin Fischer aus der Alten Philharmonie. Aber schnell erkennt man auch das Stereo und die moderne Orchesterqualität - der Oboe nach würde ich auf Los Angeles S.O. tippen ...
Es könnte sich um einen MC-Mitschnitt aus dem Rundfunk handeln - oder um eine vor Ort im Konzert mitgeschnittene heimliche Privataufnahme. Der Klang ist nach einer Einhörphase durchaus azeptabel. Zwar ist das Grundrauschen recht hoch und es gibt bezüglich Stereo-Balance Unregelmäßigkeiten, aber zumindest bleibt die Tonhöhe konstant und es gibt keine Schwankungen im Frequenzspektrum. Ich habe versucht möglichst alle Schwachpunkte der Aufnahme zu verbessern oder zu kaschieren, ohne die Tonsubstanz anzugreifen. Somit hat die Aufnahme zwar noch ein hohes Grundrauchen und eine recht große Distanz, ist aber ansonsten gut hörbar und deutlich besser als der Höreindruck über LP.
Urs Schneider / Homero Francesch, Klavier / S.O. des Bayerischen Rundfunks
(Kopie des BR-Masterband)
Erstaunlich gelungene und überzeugende Aufführung in ausgezeichneter Tonqualität. Unter den Aspekten Interpretation und Klangqualität ist diese Rundfunkaufnahme vielleicht die stimmigste der modernen Aufführungen.
Klavierquintett C-Dur (Kompositionsbeginn spätestens 1912, endgültige Fassung 1932-35)
Wolfgang Sawallisch / Pusl Quartett (E.Pusl, J.Heßdörfer, Ch.Steinkrauß, H.Dirr) (Uraufführung, auf die Hälfte gekürzt!) (München 1979, Rundfunk privat)
Dies ist ein Rundfunkmitschnitt der Uraufführung der Klavierquintetts - und doch auch nicht. Denn das 70 bis 80 minütige Werk wurde auf 45 Minuten verstümmelt. Zwar sind die Themen vorhanden, aber deren Variationsformen, die Proportionsverhältnisse, die lang vorbereiteten und ausgeführten Entwicklungen samt den nur in der Originalversion verständlichen - besser: erlebbaren Höhepunken sind durch die Kürzungen gar nicht wahrnehmbar oder nicht organisch und verständlich. Musikalisch überzeugt Sawallisch am Klavier, aber dem Pusl Quartett sind doch technische Grenzen gesetzt, die bei dem auch diesbezüglich extrem anspruchsvollen Werk deutlich werden. Somit ist dieses Tondokument musikalisch überlebt und eher als Kuriosum zu betrachten. Die suboptimale MC-Qualität tut noch ein übriges zu dem nicht wirklich befriedigenden Ergebnis.
Daniele Bellik / Quatuor Elyseen (Tonstudio van Geest Heidelberg-Wieblingen, März 1979, Bayer Records (Da Camera Magna))
Die erste Schallplatten-Aufnahme des Quintetts, ungekürzt und souverän gespielt. Rückblickend gesehen ist es faszinierend anhand dieser Aufnahme zu erkennen, dass sich die letzten 40 Jahre eine Entwicklung bezüglich Verständnis und Aufführungspraxis des Quintetts entwickelt hat und somit auch die Qualität, Natürlichkeit und Aussage dieses großen Werks. Die nachfolgenden Aufnahmen sind noch vitaler und auch spannender.
Francois Kerdoncuff / Quatour Sine Nomine (Part: Zentralbilbliothek Zürich, Rev.: d´Heudieres) (17.-20. Mai 1993, Salle de Chatonneyre Corseaux, Timpani)
Diese Aufnahme war die Initialzündung für das Quintett. Sehr jugendlich stürmisch und voller Mut und Wille und Freude am Extrem. Das Quatuor Sine Nomine und Kerdoncuff haben das Stück "freigespielt". Alles ist lebendig erfüllt und das Entstehen des Augenblicks und die Vision stehen vor Augen.
Clarens Quintett (Krahnert, Kl. / Süßmuth, Schönweiß, Schwarz Greger) (Erst-Aufn. d. Edition v. Krahnert, WFGA) (Funkhaus Köln, 2003, DLR/Tacet)
Beim Clarens-Quintett (Tacet) gibt es keine Kürzungen und neben der Lebendigkeit der Aufführung werden die Zusammenhänge und der ganz große Bogen spürbar und verständlich. Hier entfaltet sich das Werk in seiner vollen Reife. Aufnahmetechnisch war Tacet äußerst ambitioniert und nach der CD-Veröffentlichung von 2004 erschien die Aufnahme nochmals 2017 als Bluray- und zwar als normale Tonaufnahme und zudem als von Andreas Spreer abgemischte "Moving"-Fassung, also einer völlig neuartigen "Real Surround Sound" Abmischung. Ein ungemein spannendes Experiment, für das Spreer mit diesem Furtwängler Quintett das angemessene Werk ausgesucht hat. Leider kann ich aber keine eigene Hörerfahrung berichten, da ich keine Surround-Anlage (z.B. für TV) besitze. Das Textheft macht aber wirklich neugierig ...
Stein, Kl. / Arlt, Danailova, Schindel, Kaltenborn (Ed. Krahnert WFGA?, 1.Version des Schluss 3.Satz) (Allerheiligen Hofkirche München, November 2004, Faculty)
Auch dieser Live-Mitschnitt ist durchaus hörenswert. Vorab fällt schon auf, dass die Spieldauer bei 70 Minuten liegt und somit 10 Minuten "schneller" ist als beim Clarens Quartett. Sowohl die Interpretation als auch der Klang unterscheiden sich sehr von der ein Jahr älteren CD-Produktion. Wurde dort nach Perfektion und Klarheit gestrebt, so steht hier mehr der Augenblick des Geschehens im Vordergrund - ähnlich der Aufnahme mit Kerdoncuff, aber ohne deren ruppige Exzessivität.
Violinsonate (Nr.1) d-moll (1935, UA 1937 durch Hugo Kolberg und Furtwängler)
Jenny Abel
Xxxx
Dong-Suk Kang / Francois Kerdoncuff (Noten: Breitkopf&Härtel 1935) (Theatre de Poissy, 20.-22. Dezember 1994)
Die erste Schallplattenproduktion der viersätzigen fast einstündigen Violinsonate - und was für eine! Leidenschaft pur. Es ist nach wie vor die subjektivst jugendlich quasi sich hineinstürzende Interpretation des Werks. Ähnlich wie beim eineinhalb Jahre zuvor entstandenen Quintett dominiert das Visionäre und man spürt das Brennen der Musiker für Furtwänglers hier extrem expressiv gespielte Musik. Spätere Aufnahmen mögen teilweise raffinierter oder noch durchdachter oder konzeptioneller sein - aber es gilt zu bedenken, dass Kang/Kerdoncuff quasi Pioniere waren, die sich auf keine Hör-Anregung oder gar Traditition bezüglich der d-moll Sonate berufen konnten. Spieltechnisch von beiden sehr überzeugend - und mit recht guter Intonation beim Geiger Dang-Suk Kang. Ein guter der Kammermusik angemessener Klang der Aufnahme.
Annette Unger / Brunhild Webersinke (Barockschloss Rammenau, 1997, Ricophon/SächsischeTonträger)
Annette Unger und Brunhild Webersinke haben den großen Atem und das Gespür für das Romantische dieser Musik (wobei konsequenterweise das eher Brüchige, Sprechende und das Moderne des dritten Satzes etwas zu kurz kommt). Diese Musik kommt klar aus einer zu Furtwänglers Zeit als "Deutsch" verstandenen Geisteshaltung: tiefsinnig, sehr grüblerisch,versponnen, sehnsüchtig und unerfüllt - mit zartem und kräftigem und immer runden Ton gespielt. So gespielt kommt das Werk Max Regers oder Hans Pfitzners Kammermusik sehr nahe. Das mag nicht alles sein, was in diesem großen Werk steckt, aber es ist so viel davon darin, dass daraus hier eine absolut überrzeugende Einspielung entstanden ist. Wer diese zutiefst romantischen Aspekte der Sonate liebt ist mit dieser Aufnahme bestens bedient. Die Tempi sind in allen vier Sätzen eher breit angelegt, was aber keineswegs Spannungsabfall bedeutet. Diese Interpretation benötigt mit 59 Minuten die längste Spielzeit aller Vergleichseinspielungen. Der Aufnahmeklang ist hervorragend - nicht hallig, aber auch nicht trocken. Es klingt nach einer perfekten gewählten Räumlichkeit für Kammermusik. Eine Empfehlung für romantische Seelen.
Matthias Wollong / Brigitta Wollenweber
(Funkhaus Berlin, Studio 10, Oktober+November 2004, CPO)
Besonderes Merkmal an der Aufnahme mit Matthias Wollong und Brigitta Wollenweber sind das Stürmisch-Drängende und Kraft, die Sonate wird in der Struktur und Gliederung "einfach" und ganz selbstverständlich - zudem beweisen beide Sicherheit, Standfestigkeit und Durchhaltevermögen. Das mag erst mal nicht nach wirklich musikalischen Eigenschaften klingen, aber diese sind enorm wichtig und unabdingbar für ein Gelingen des Ganzen. Es ist eine souveräne Einspielung, die das Stück in seiner physischen Fülle und seinen musikalischen Facetten zeigt - und nach mehrmaligem Hören verstehe ich auch die Phantasie, Differenziertheit und Expressivität der Interpreten. Sie ist eine Alternative zu der noch tiefer und ungewohnter erscheinenden drei Jahre später entstandenen Produktion mit Boller/Prossnitz ...
Bettina Boller / Walter Prossnitz (Noten: Breitkopf&Härtel 1938) (Alte Kirche Boswil, 21.-23. November 2007, Giuld)
Meines Erachtens eine Einspielung der d-moll Sonate, die sich von allen anderen abhebt. Bettina Boller und Walter Prosnitz dringen in unbeschreibliche Bereiche vor durch eine fantasievolle mutige Klanglichkeit bis zur schier sich auflösender Zerbrechlichkeit. Der Ton der Geigerin ist per se eher schlank, Vibrato wird als Ausdruckmittel eingesetzt und ist kein Dauerzustand. Diese alte und wieder neue mutigere (weil Intonationsmängel stärker hervortreten können) Weise zu musizieren ermöglicht noch mehr Schattierungen (bis hin zur geräuschhaften Tonlosigkeit) und erschließt noch mehr seelische Tiefe. Furtwänglers Musik LEBT stark aus einem meditativen Ansatz heraus und durch Weglassen des Vibrato kann auch ein mehr leuchtender Geigenklang (Obertöne!) erreicht werden. Der "Preis" dafür: Es gibt nicht die klangliche Stabilität wie bei Wollong / Wolleneder oder gar Moser/Huhn und nicht deren Tonvolumen, aber das scheint von der Interpretation auch gar nicht beabsichtigt. Hier öffnet sich ganz Neues, bis dahin noch Ungesagtes - hier wird die Musik zur individuellen Erschütterung. Dazu tragen auch die freien und empfindungs-logischen Tempomodifikationen bei. Die Musik spricht, wie es selten zu hören ist ... Die Energie, Leidenschaft und Differenziertheit des Pianisten ist der Geigerin ebenbürtig, es wurde minuziös bis ins kleinste klangliche Ereignis gearbeitet - und dann bei der Aufnahme so gespielt, wie wenn es eine spontane Eingebung wäre. Da nimmt man auch mal kleinere Intonationstrübungen hin. Eine Einspielung und durchaus Musik des 20ten Jahrhunderts, die ergreift und Fragen aufwirft... Die CD klingt hervorragend.
Enzo Ponta / Adriano Abrosini (9. Oktober 2009, Rugginenti Editore)
Eine besonders im Klavierpart sehr nah und trocken aufgenommene Einspielung. Schon in den Anfangstakten wird im Klavierpart klar, dass der Grund dafür wohl in der Beleuchtung des harmonischen extrem reichen Geschehens liegt - was auch gut gelingt. Leider wurde es aufnahmetechnisch mit der Prominzenz des Klaviers etwas übertrieben und in manchen Forte-Stellen denkt man an eine Klaviersonate mit Violinbegleitung. Wer das Stück bereits gut kennt und in harmonische oder nur den Klavierpart betreffende Aspekte näher eintauchen möchte, hat hier gut Möglichkeit dazu. Als ausgewogen und balanciert - und somit für "normale Hörer goutierbar - würde ich diese Produktion nicht bezeichnen ...
Sophie Moser / Katja Huhn (SWR Kaiserslautern Studio, 26.-28. Oktober 2010, SWR/SR/Hänssler)
Eine äußerst willkommene Einspielung mit Ausgewogenheit und Klarheit, sehr differenziert mit einem "klassischem" Ansatz. Sophie Moser und Katja Huhn haben die Souveränität, den Überblick und die rechte Empfindung für die Welt Furtwänglers, zudem Klangsinn und Durchstehvermögen. Was an Technischem besonders angenehm auffällt ist die spieltechnische und intonatorische Sicherheit von Sophie Moser. Es ist mit Abstand die sauberste aller Einspielungen! Die beiden Interpretinnen wählen in den Ecksätzen etwas zügigere Tempi als Boller/Prossnitz oder Unger/Webersinke, das Musizieren ist strukturbestimmt und vital. Diese Punkte helfen (dem Hörer und den Spielerinnen), sich nicht in den Weiten der Komposition zu verlieren und die Substanz und Vielfalt des Werks zu zeigen. Die Geigerin verlässt sich auf eine eher konventionelle Tongebung, was zum Furtwängler der 30iger Jahre passt - auch wenn zu dieser Zeit durchaus auch noch die "alte Schule" das vibratoarmen Spiels gepflegt wurde. Mit welchen stilistischen Mitteln auch immer: die Interpretinnen haben durchaus bezüglich des Werks "etwas zu sagen" und legen in dieser Art eine absolute Referenz-Einspielung vor, denn die stilistisch und vom Werkverständnis her vergleichbare Aufnahme von Wollong/Wollenweber bleibt im Vegleich deutlich pauschaler. Wer die Sonate ohne Mängel oder Einschränkungen kennenlernen möchte, dem empfehle ich diese Einspielung unbedingt! Die anderen interpretatorischen Ansätze von Unger/Webersinke oder Boller/Prossnitz gewinnen ebenfalls durch die Kenntnis dieser Aufnahme. Der Klang ist ausgezeichnet - deutlich besser als bei der früher aufgenommenen zweiten Sonate mit denselben Interpreten.
Violinsonate (Nr.2) D-Dur (1938/39)
Wolfgang Müller-Nishio / Rudolf Dennemark (Tonstudio van Geest Heidelberg-Wieblingen, 11.+12. Dezember 1971, Bayer Records (Da Camera Magna))
Dies war die erste Schallplattenproduktion mit einer Komposition Furtwänglers nach dessen zwei eigenen Aufnahmen (das Adagio aus dem Sinfonischen Konzert 1939 bei EMI + die 2te Sinfonie 1950 bei DGG) OHNE Mitwirkung des Komponisten. Ende der 70ziger, als ich diese Aufnahme kennenlernte, war die Kammermusik von Furtwängler noch völlig unbekannt und auch fremd. Die Produktion ist für die Verhältnisse und Möglichkeiten vor 50 Jahren durchaus passabel gelungen. Der Klang ist im original als LP beim Label "Da Camera Magna" weich und in der Tendenz eher trocken, die CD-Ausgabe von Bayer klingt deutlich mit Hall versehen, was mich weniger stört als der nicht auf die Klangpyramide achtende Transfer, der nun undifferenziert, kalt und weiter entfernt als die LP wirkt. Konzept und Spiel der beiden Interpreten sind noch deutlich begrenzt und wirken aus heutiger Sicht und den weiter unten angesprochenen Hörerfahrungen seltsam vorsichtig und steif. Die durchaus sympatische und beachtliche Pionier-Einspielung bleibt noch diesseits der Grenze von Leidenschaft und Entgrenzung und einer zwingenden Gestaltung der Themenblöcke und der metamorphotischen Entwicklung.
Alexis Galpérine / Francois Kerdoncuff (Noten: Bote&Bock 1938?) (Salle Adyar Paris, 8.+9. Juni 1989, SWF/Timpani)
Zehn Jahre nach der dritten Schallplattenproduktion mit einer Komposition Furtwängler legten Galpérine/Kerdoncuff eine erste CD mit einem Werk von Furtwängler vor. Es war damals anhand der Abstände von VÖs mit Werken der Komponisten nicht zu ahnen, dass 2021 (also 32 Jahre später) an die 50 CDs auf dem Markt sein könnten, von denen an die 40 musikalisch wirklich hochinteressant sind und das gesamte kompositorische Schaffen nun sogar in vielen interpretatorischen Facetten darstellen. Das nur zur Darstellung der Situation bei der Veröffentlichung der Galpérine/Kerdoncuff CD im Jahr 1990. Was war diese Aufnahme für ein Erdbeben bezüglich der Interpretation nach Müller-Nishio/Dennemark! Auch heute habe ich beim Hören noch das Gefühl, dass diese beiden damals recht jungen Musiker bisweilen aus den Lautsprecherboxen heraus einen anspringen ... Völlig unverständlich sind mir die beiden sehr kurzen CD-Rezensionen, die ich mit zu der Aufnahme aufgehoben habe: die eine verreißt die Komposition bzw per se Furtwängler als Komponist (Fonoforum - Überschrift: "Tragisch verirrt", Vorwurf "Formlosigkeit" ... ein Witz...), die andere von einem anscheinend schöngeistigen Hartmut Lück, der natürlich genau weiß wie "spätromatische Musik" klingen sollte, verreißt die Interpretation ... Anscheinend ist diesem Kritikus das Gefühl der Leidenschaft unbekannt. Und er kann zwischen realem Ton und aufnahmetechnisch wiedergegebenen Klang wohl nicht recht unterscheiden. Nun ja - die Aufnahme mag durch die vielleicht nicht optimal gewählte Aufnahmeloaklität etwas stumpf und im Forte "eingesperrt" klingen, weshalb auch die Violine keinen frei entfaltenden Schmelz entwickelt und das Klavier aufnahmetechnisch nicht die letzten "Geheimnisse " preisgibt. Der Vorwurf eines einförmigen menschanischen Klavierspiels oder eines klirrenden Geigentons ist - wenn man das je so hören mag - ist einer mittleren Entfernung der Aufnahme bezüglich Klavier (die dann wirklich nur Klang wiedergibt, so wie es auch im Saal zu hören ist, und keine Filz oder Saitengeräusche) und einer etwas näheren Aufnahmeentfernung der Violine geschuldet, welche die klangliche Präsenz des Geigers gut abbildet. Ich denke, dass "gehauchte Tönchen" und impressionistische Farben halt nicht die Intention dieser ganz auf expressive Aussage ausgerichteteten Interpretation war ... Wer es weniger "gerade heraus" mag, ist mit der Moser/Huhn oder Wollong/Wollenweber vielleicht besser bedient. Ich persönlich wollte auf keine der beiden Einspielungen verzichten. Wer Ohren hat der höre - z.B. bei Galpérine/Kerdoncuff ganz einfach feststellbar das mörderische Tempo des Presto des 3ten Satzes - phanastisch! Ist natürlich nichts für den Feingeist des "romantischen Schönklangs" (mein Kommentar: gibts gar nicht).
Matthias Wollong / Brigitta Wollenweber (Funkhaus Berlin, Studio 10, Oktober+November 2004, CPO)
Sehr gut und ein "Mittelweg" zwischen der himmelsstürmenden Galpérine/Kerdoncuff und der quasi kontrollierteren Moser/Huhn Aufnahme. Wie auch die d-moll Sonate sehr ordentlich aufgenommen und ebenfalls phantasievoll, mitreißend und differenziert gespielt. Diese Doppel-CD mit beiden Sonaten rechtfertigt durchaus ihren Platz neben den anderen Interpretationen.
Sophie Moser / Katja Huhn (MDR Leipzig, Augustusplatz, 22.-25. Oktober 2008, MDR/BR Klassik/Hänssler)
Diese Aufnahme entstand zwei Jahre vor der Einspielung der d-moll Sonate mit denselben Interpreten. Der Aufnahmeklang ist nicht ganz so gut wie in der späteren Produktion, aber das Spiel der beiden von Furtwänglers Sonaten begeisterten Frauen ist auch hier unbedingt hörenswert. Die Aufnahme ist sehr ausgefeilt und vielschichtig und lässt keine Wünsche offen - außer vielleicht einem Quäntchen Entrückung oder Extase.