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KARL SCHISKE (1916-1969)
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KARL SCHISKE - ein bedeutender österreichischer Komponist des 20ten Jahrhunderts!
Diese Aussage mag auch den beschlagensten Musikliebhaber überraschen, da nur noch wenige mit dem Namen Karl Schiske etwas verbinden können - am ehesten noch als Kompositionslehrer von Erich Urbanner, Iván Eröd oder Kurt Schwertsik, aber kaum als Komponist. Dabei haben namhafte Dirigenten wie Karl Böhm, Rudolf Moralt, Hans Swarowsky und Michael Gielen Schiskes Sinfonien, Orchesterwerke, Konzerte und das Oratorium "Vom Tode" uraufgeführt. Die Bedeutung des Komponisten war durchaus erkannt und die Rezeption im Kommen - aber dazu weiter unten mehr . . .
Das Werk des in Westungarn (was 1916 noch zur KuK Monarchie gehörte) geborenen Komponisten zeigt eine Entwicklung von in der Frühphase trotz romantischer Beeinflussung schon stark strukturell geprägten Werken über Kompositionen, welche an Hindemith und Strawinsky erinnern bis zum auch in dieser Kompositionsweise sehr persönlich unverwechselbar seriellen Stil, der die kompositorische Einheit durch Synthese aller Kompositionsparameter ganz erfüllt.
In allen Schaffensphasen Schiskes ist ein starke Wille zu klarer Konstruktion, Reduktion, Verständlichkeit, aber auch zu Schönheit und Sinnlichkeit des Klangs und zur sämtliche musikalischen Aspekte umfassenden Geschlossenheit eines Werks, in dem alles stark auf einander bezogen ist, zu spüren.
Besonders die Werke ab den späten 30iger Jahren sind von einer unverwechselbar persönlichen Tonsprache geprägt, die sich aber - obwohl immer als Schiske erkennbar - deutlich und permanent gewandelt hat.
Anmerkungen zu ausgewählten Kompositionen
... welche hier auf klangrede.com auf CD (Karl Schiske - CDs und Audiodateien) vertreten sind ...
Das viersätzige Sextett für Klarinette, zwei Violinen, Viola, Violoncello und Klavier op.5 (entstanden 1937) zeigt noch Karl Schiskes frühen quasi romantischen Stil, der aber schon höchst eigenwillig war. Die schreitende ostinate Tonfolge c-d-g-f ist identisch mit der in gleicher Weise gebrauchten Eröffnung des "Buch mit sieben Siegeln" von Franz Schmidt, das im selben Jahr fertiggestellt wurde - wohl kaum ein Zufall. Auch der dritte Satz (langsam) atmet in der Klarinette gegen Satzende die melancholisch-herbstliche Stimmung von Schmidts später Kammermusik. Die Eröffnung des vierten Satzes (nur für Klarinette und Klavier) erinnert bereits an Spielmusiken von Hindemith, bis dann als Kontrast das Streichquartett allein in romantischem Ausdruck und Harmonie auf den dritten Satz zurückgreift. Der kurze Satz findet in der Coda eine Synthese mit dem Cello-Ostinato des Beginns. Nun ist aber alles Schwere und Grüblerische abgelegt und der Satz verklingt leise in heiterer Gelassenheit. Eine Video-Produktion der Musikhochschule habe ich auf der CD JAW KS-01 übernommen.
Das Klavierkonzert op.11 von 1938/39 ist in seinem teils durchaus noch romantischem Gestus, aber zudem auch der sehr klaren Konstruktion (Fugenfinale) beeindruckend. Einem knappen Kopfsatz folgt ein langsamer Satz in Form einer Passacaglia, welcher zu Beginn wiederum an Franz Schmidt denken lässt. Die gesamte Anlage des Klavierkonzerts und besonders die Schlussfuge verweisen schon auf Schiskes zweite Sinfonie. Ähnlich dieser steht im Zentrum des Finales ein Choral, welcher im Klavierkonzert eine deutliche Ähnlichkeit mit Bartoks ein paar Jahre später(!) entstandenem Konzert für Orchester aufweist. Die sehr gut klingende Schallplatte (zusammen mit op.30 und Auszügen auus "Vom Tode") ist leider noch nicht von Amadeo auf CD veröffentlicht (siehe CD LtC KS-01).
Das viersätzige 1. Konzert für Streichorchester op.14 von 1940/41 ist thematisch noch strenger gearbeitet.
Die mehrteilige, aber ineinander übergehende Rhapsodie für Klavier op.20 von 1945 ist stark motorisch geprägt und entfernt sich deutlich von jeglicher romantischer Tonsprache. Es kontrastieren in wechselnder Folge fünf bewegte und ruhige Abschnitte. Bis zum Erscheinen der (bereits vor Jahren eingespielten!) Gesamtaufnahme des Solo-Klavierwerks mit der Pianistin Margarete Babinsky muss man mit ihrer ausdrucksstarken Interpretation auf dem leider sehr mäßig klngenden YouTube-Video von op.20 vorlieb nehmen. Auf den hier vorgestellten CDs ist es zweimal vertreten - auf CD JAW KS-01 und in klanglich weiter verbesserter Form auf CD JAW KS-09.
"Vom Tode" op.25 ist ein sehr groß angelegtes Oratorium (komplett aufgeführt ca. 100 min Spielzeit), das Schiske 1946 unter dem Eindruck des erlittenen Krieges und des Verlusts seines 1944 gefallenen Bruders Hubert geschrieben hat. In dieser großartigen und erschütternden Komposition ist ähnlich wie bei Bachs großen geistlichen Werken alles aufeinander bezogen. Wenn dieser Umstand für den Hörer wohl nicht sofort und umfassend erkennbar ist, so fällt doch unmittelbar die große Geschlossenheit, atmosphärische Dichte und starke emotionale Aussage der 24 Teile (Vertonungen unterschiedlichster Dichter) auf.
Ein Prolog (Einführung in das Thema Tod, Sterben und die Auseinandersetzung damit) und ein Epilog (besser: die Konsequenz einer musikalisch weiterführenden Koda und einer inhaltlichen Kulminierung des Themas Tod) umrahmen vier Teile, die den Zugriff des Todes auf jegliches Lebensalter des Menschen berühren - dargestellt in den vier Jahreszeiten der Natur vielleicht als Sinnbild dafür, dass der Tod unabänderlich gegeben und auch nicht relativierbar ist.
Es bleibt in Worten zwar unausgesprochen - und dennoch ist die Klage oder Anklage nicht zu überhören: Der anonyme Massentod des Krieges beraubt den Menschen im Sterben seiner Individualität und nimmt ihm die Möglichkeit des Gedankens, der Hoffnung und der Erfahrung eines Sinns im "Aus der Welt gehen".
Somit ist "Vom Tode" auch Mahnung an die Lebenden zu Frieden: Das "memento mori" als ein "memento vitae"!
Rückblickend gesehen ist "Vom Tode" in musikalischer Hinsicht nicht Schiskes innovativstes Werk, denn seine weitere Entwicklung führte ihn noch zu weit konzentrierter geformten Kompositionen. Die später von Schiske verwendete dodekaphonische und serielle Schreibweise ist kein Selbstzweck, sondern sein Bestreben, mittels dieser Kompositionstechnik formgebend und thematisch alles mit allem umfassend verbinden zu können. Die so entstandene Synthese op.47 und das Divertimento op.49 sind reine absolute Musik und dennoch in der Deutung der Mittel philosophisch. "Vom Tode" ist aber - nicht nur wegen des konkreten literarischen Inhalts - expressis verbis Schiskes philosophisches Hauptwerk und somit kaum mit einer anderen seiner Kompositionen vergleichbar.
Unbedingt lesenswert ist Gerhard Winklers Essay "Zurücknahme und Gegenentwurf" (Neue Musik nach 1945: Karl Schiske, S. 255-271). Dieser stellt "Vom Tode" in einen nachdenkenswerten direkten Bezug zu dem 1937 vollendeten "Das Buch mit sieben Siegeln" von Franz Schmidt. Zudem vermittelt der Autor in seiner Teilanalyse dem Leser eine Ahnung der kompositorischen und inhaltlichen Komplexität von "Vom Tode".
"Vom Tode" ist meines Erachtens in seiner ergreifenden Aussage und geistigen und kompositorischen Durchdringung den anderen großdimensionierten und thematisch vergleichbaren Werken des 20ten Jahrhundert (z.B. Brittens War Requiem) gleichwertig an die Seite zu stellen. Im Zuge derzeitiger Wiederentdeckungen auf CD könnte dieses Oratorium dem Komponisten erneut zu wachsenden Beachtung verhelfen, da das Kriterium "Modernität" zum Glück immer mehr an Bedeutung verliert.
Die bei Amadeo bis jetzt leider noch nicht auf CD erschienene Doppel-LP mit dem Dirigenten Miltiades Caridis ist ein sehr stimmiger LIve-Mitschnitt (CD LtC KS-02), aber leider im Epilog um die Teile "Chor der Toten" und "Requiem" gekürzt ...
Die zweite Sinfonie op.26 von 1947/48 zeigt musikalisch noch klarer Schiskes Idee der Synthese. Hier erinnert die Tonsprache an Hindemith, was in den Folgewerken der mittleren Phase immer wieder vorkommt. Die Verbindung von der Freude am "Ludis tonalis", an visionär romantischem Gestus und an barocken Kompositionstechniken (welche im Spätwerk eine ganz eigenständige Bedeutung erlangen) sind glücklich in eine eingängige Tonsprache gefasst und verleihen so diesem Werk eine hohe Attraktivität. Nicht umsonst haben Dirigenten wie Karl Böhm (UA), Rudolf Moralt, Peter Erös, Wolfgang Bozic, Milan Horvath und andere sich dieser Sinfonie angenommen und sie zu einem der am häufigst gespielten Kompositionen des Tonsetzers gemacht.
Der monothematische Kopfsatz hat schon minimalistische Züge. Der Mittelsatz ist tief empfunden. Das dreisätzige Werk krönt ein verblüffendes Finale, das derart wohl einmalig in der Musikgeschichte da steht: es verbindet Sonatenhauptsatzform mit Scherzo und mit Tripelfuge - alles in einem! Eine faszinierende Synthese aus Spielmusik, Experimentierfreude, Welt der Seele und großer geistiger Konzentration. Im Text-Blatt der CD JAW KS-01 und CD JAW KS-06 (siehe CDs und Audiodateien) befinden sich ein kleine prägnante Analyse, welche der Studienpartiturausgabe des Verlags Philharmonia abgedruckt ist (mit Korrektur zwei inhaltlicher Fehler).
Schiske hat mit seinem Opus 26 ein Ausrufezeichen gesetzt: Mein kompositorisches Leben ist mit Opus 25 (Vom Tode) nicht zu Ende!
Zu der Periode mit "Hindemithschen" Klängen gehört auch das dreisätzige Kammerkonzert op.28 von 1948/49. Der raffinierte Einsatz und die vielfältigen Kombinationen der Instrumente lassen dieses spielfreudige und dennoch im langsamen Satz (in dem neben Hindemith auch Bartok und Kodaly anklingen, die beide ebenfalls ein Orchesterkonzert geschrieben haben) auch tiefgründige Werk voller und farbiger erklingen als es angesichts der eher kleinen Besetzung zu erwarten wäre. Im Text-Blatt der CD JAW KS-02 und CD JAW KS-06 (siehe CDs und Audiodateien) befinden sich Anmerkungen des Komponisten zu diesem Werk.
Der Psalm 99 op.30 von 1949 ist für sechsstimmigen gemischten Chor gesetzt. Der weiter vollzogene Wandel der Tonsprache lässt wieder neue kompositorische Seiten des Komponisten aufscheinen, u.a. in der Mischung von Herbheit und Sinnlichkeit.
Die dritte Sinfonie op.31 "Pacher-Altar" von 1950/51 ist die "große Symphonie" Karl Schiskes, was die zeitliche Ausdehnung und den Anspruch auf "Größe" sowohl im äußeren als auch visionären Sinne angeht. Dennoch gibt es hier trotz des außermusikalischen Bild-Bezugs (auf den spätgotischen Wandel-Altar von Michael Pacher in der Pfarr- und Wallfahrtskirche in St. Wolfgang) keinerlei Rückkehr zur quasi Romantik. Die thematisch-motivischen Verflechtungen sind noch konsequenter als in der zweiten Symphonie ineinander verschränkt und die Tonsprache ist teilweise betont herb. In den Ecksätzen ein Fest für Liebhaber bitonaler Dissonanzen und sperrig Eigenwilligem. Im Text-Blatt der CD JAW KS-02 (siehe CDs und Audiodateien) befindet sich eine kurze Analyse.
Das dreisätzige Konzert für Violine und Orchester op.33 von 1951/52 ist ein großes Konzert, welches höchste Anforderungen an die Ausführenden stellt - nicht nur was das technische Können des Solisten oder die instrumentale Balance, sondern auch was die Durchdringung und Umsetzung des geistigen Inhalts des Werks angeht. Es könnte neben der 2.Sinfonie und "Vom Tode" zu einem der Schlüsselwerke in der Rezeption Karl Schiskes werden, da es durchaus das Zeug hat auch breitere Hörerschichten anzusprechen. Im Text-Blatt der CD JAW KS-04 und CD JAW KS-07 (siehe CDs und Audiodateien) befinden sich Anmerkungen des Komponisten zum Violinkonzert.
Die nachfolgenden Werke zählen zur Übergangsphase zum zumeist seriellen Spätwerk. Die Sonatine für Violine, Violoncello und Klavier op.34 von 1952 ist streng in der Tonsprache und es gibt keine außermusikalischen Bezüge. Die Freude und Befriedigung des Hörens erwächst aus der Reinheit, der konzentrierten Klarheit der absoluten Musik und dem Melos der Ecksätze.
Karl Schiske besitzt die großartige Fähigkeit, den Hörer auch im Komplexen durch Klarheit, Wiedererkennbarkeit des Thematischen und spürbare Seelengestalt der Musik jederzeit mitten im Geschehen zu halten. Im Text-Blatt der CD JAW KS-08 (siehe CDs und Audiodateien) befinden sich ein paar Anmerkungen Erich Urbanners.
Die Sonatine für Klavier op.42 (1954) ist in den Ecksätzen rhythmisch vertrackt angelegt. Die Verwendung der Quarten erinnert nochmals an Hindemith, aber auch eine Affinität zu Strawinsky ist hörbar. Der zweiteilige Mittelsatz entfaltet zuerst ein melodisches Geflecht, dann lebt er von dem spannenden Gegensatz von Melos und Rhythmus. Im Text-Blatt der CD JAW KS-08 (siehe CDs und Audiodateien) befinden sich ein paar Anmerkungen Erich Urbanners.
Die Sinfonie Nr.4 op.44 von 1955/56 beschreitet einen deutlich anderen Weg als die ersten drei Symphonien mit deren Prägung durch die Idee der "großen Symphonie". In der Vierten dominiert wie auch in noch folgenden späten Kompositionen mit ökonomisch eingesetzten Mitteln absolut nur die kompositorische Idee - und die ist mit einem ersten Satz (nur Streicher) als Exposition, einem zweiten (Holz, Blech, Schlagwerk ohne Streicher) als Durchführung und einem abschließenden dritten Satz als quasi Reprise mit der unveränderten Übereinanderlegung des ersten und zweiten Satzes wahrhaft etwas faszinierend Neues! Im Text-Blatt der CD JAW KS-04 (siehe CDs und Audiodateien) befinden sich eine kleine Analyse Erich Urbanners zur 4ten Sinfonie.
Die Candáda für Sopransolo, gem. Chor und kleines Orch. op. 45 (1956/57) zeigt am Übergang zum späten Stil Karl Schiskes nochmals neue Aspekte der Vielseitigkeit des Komponisten auf. Es wird im Textheft der ORF-CD (siehe CDs und Audiodateien) auf eine Anlehnung an die Kantaten von Anton Webern verwiesen. Ich persönlich denke aber im Kopfsatz des vierteiligen kurzen Werks auf quasi neu-dadaistische Texte von Herbert Mösslacher eher an "Les Noces" von Strawinsky oder den "spröden" Carl Orff und im vierten Satz entfernt an Strawinskys Psalmensinfonie. Dennoch ist das Werk in seiner Eigenheit reiner Schiske.
Die Choralpartita für Orgel op.46 (1956/57) hat einerseits retrospektiven Charakter. Das "rückblickend" bezieht sich nicht nur auf das Schaffen des Komponisten, sondern die Musikentwicklung von Anfang an schlechthin. Die Überschriften Bicinium und Motet weisen schon darauf hin. Andererseits gibt es auch "serielle Synthesetechniken" (Roman Summereder). Wie so oft findet Schiske für den Hörer eine schöne Brücke, um sich mit seinem Werk leichter anzufreunden - hier mit den populären Melodien "Vom Himmel hoch" und "Mitten wir im Leben sind". Bewundernswert ist auch hier wieder einmal Schiskes Gefühl für eine "gefühlte Länge": Das Erleben stark variierender Phänomene lässt den Hörer nie ermüden. Das Variationswerk empfindet man wie so manche Komposition des Meisters eher als kurz(weilig) denn als zu lang geraten.
Schon der Titel Synthese für vier mal vier Instrumente op.47 (1958) ist wie ein geistiges Programm des Komponierens von Karl Schiske: Verbindungen, Entstehung und Entwicklung aus Zellen, die Wichtigkeit des Spiels mit Zahlen, die Möglichkeiten alles mit einander zu kombinieren, das hoch artifizielle und geistvolle Berechnen und dennoch auch das kindliche Staunen darüber, was mit den "Bauklötzen" alles anzufangen ist - und das Ganze erscheint niemals blutleer und jederzeit sinnlich erfahrbar. Synthese op.47 ist im Grunde - wie auch im Ansatz manches im Spätwerk J.S.Bachs - als kein Werk zu einer "fertigen" Aufführung gedacht, sondern als weiterführende Idee: Was in der vierten Sinfonie noch festgelegt war ist hier alles quasi unendlich kombinierbar und somit gibt es auch keine nur annähernd festgelegte Aufführungsdauer. Die Kreativität der Spieler ist genauso gefragt wie die Möglichkeiten des Geistes und des Vorstellungsvermögens der Musiker bzw. des Leiters, was für die Ausführung sinnvoll und im Konzerterlebnis für den Hörer als Gestaltung der Musik auch nachvollziehbar ist. Das Werk dauert je nach Ausführenden von wenigen Minuten bis . . .
Im Text-Blatt der CD JAW KS-04 (siehe CDs und Audiodateien) befindet sich eine kleine Analyse Schiskes zu op.47.
Das Divertimento für 10 Instrumente op.49 von 1963 ist für mich DAS herausragende Meisterwerk in Karl Schiskes Spätwerk. Die serielle Komposition fasziniert unmittelbar sinnlich und ist überraschend eingängig und verständlich - zumindest emotional stark zugänglich und sogar einprägsam. Von mathematischer Konstruktion (Fibonaccische Reihe) geprägt erlaubt dieses geniale Stück (ca. 15 Min) dennoch eine musikalische Wahrnehmung mit vielen phantasievollen assoziativen Gestalten: Kontemplation, Natur, Grauen, Witz, Tanz und Groteske fallen mir da spontan außermusikalisch ein - und auch eine gelungene ulkige Überraschung in der Melodie der rückläufigen Umkehrung der letzen Variation.
Zudem komponiert Karl Schiske im Divertimento op.49 seine Ideen und die musikalischen Phänomene so klar verständlich (sowohl für rein hörendes Verstehen als auch zum Nachvollziehen anhand der Partitur), dass dieses Werk zu einem idealen Lehrstück für die serielle Sparte der Musik des 20ten Jahrhunderts gerät und somit für den Gebrauch im Musikunterricht nur wärmstens empfohlen werden kann. Die geringen Anschaffungskosten der kleinen Doblinger Studienpartitur helfen zudem die Hemmschwelle zu senken :-)
Im Text-Blatt der CD JAW KS-08 (siehe CDs und Audiodateien) befinden sich ein paar Anmerkungen Erich Urbanners. Zudem gibt es im Text-Blatt der CD JAW KS-05 (ebenda) den Anfang (psychologischer Teil) der faszinierenden umfangreichen Analyse "Chaos im Kristall. Psychologische und mathematische Analyse des Divertimento op.49 von Karl Schiske" von Günter Kahowez.
Schiskes letzte vollendete Komposition ist die fünfte Sinfonie in B op.50 von 1965, in der nochmals die Summe seines Bestreben zur Synthese deutlich wird - hier nicht nur bezüglich des kompositorischen Materials, sondern auch in Querverweisen auf einige quasi "B-Komponisten" (Bach, Beethoven, Bruckner, Brahms, Bartok) - also im Grunde eine Synthese allen "klassischen" Komponierens an sich. Schiskes Fünfte ist somit ein konsequenter Abschluss seiner kompositorischen Arbeit.
Im Text-Blatt der CD JAW KS-04 (siehe CDs und Audiodateien) befindet sich eine kleine Analyse Schiskes zu op.50.
Nochmals der allgemeine Hinweis:
Mehr Informationen und Analysen (von Erich Urbanner, Karl Schiske und anderen) sind auf der Unterseite CDs und Audiodateien auf den allermeisten Textfaltblättern zu finden, die bei den jeweiligen CDs eingestellt und nach dem Anklicken gut lesbar sind!
KARL SCHISKE - kommt seine Zeit noch?
Alle Kompositionen von Karl Schiske vermeiden Ausuferndes. Es gibt schon in den frühen Werken kein "Füllmaterial". Die Tonsprache ist dennoch verständlich, eingängig und sinnlich. Das starke Streben nach klarer Konstruktion und Verknüpfungen, welches letztlich zur kompromisslosen Synthese und manchmal auch kompositorischen Askese führte, können bei dem einen oder anderen Werk auch den Eindruck von "Gewolltem" hervorrufen. Schiske ist kein Komponist der "vielen Worte", sondern konzentrierter und "ideenreich gebauter" Werke. Eine hohe Aufmerksamkeit des Hörers ist notwendig, um Schiskes Weg der konsequenten Suche und Umsetzung von Wahrhaftigkeit zu ergründen - und diese ist Preis und Lohn zugleich. Die Ernte der eigenen Aufmerksamkeit und Lernbereitschaft ist eine höhere Sensiblilisierung und eine ungewohnte Betrachtung, welche die Wahrnehmung jeglicher Musik verändern können ...
Leider war es Karl Schiske nicht mehr vergönnt, seine Musik aus einer Alterssicht erzählen zu können, aber vielleicht hätte das auch gar nicht zu seinem Wesen des Aufbruchs und der Neuerung gepasst ...
In den fünf Sinfonien, zwei Konzerten, Klavier- und Kammermusik, Lieder, Chormusik und dem großen Oratorium "Vom Tode" kann man so viel Abwechslung und zudem unterschiedliche Stile und neue individuelle Ideen finden, sodass durchaus die Frage berechtigt ist, weshalb dieser Komponist nicht stärker im Bewusstsein unserer Musikwelt angekommen ist. Zudem prägte Karl Schiske durch seine Professur als Kompositionslehrer, welche er im Grunde noch über seine Tätigkeit als Komponist stellte, eine ganze Generation an jungen Komponisten in Österreich und auch weit über die Landesgrenzen hinaus.
. . . Frage . . .
Wie kann es also sein, dass dieser Komponist fast vergessen ist und sogar seine Hauptwerke so selten gespielt werden? Selbst im Jahr 2016, Schiskes hundertsten Geburtsjahr, und im Jahr 2019, seinem sechzigsten Todesjahr, hat keine Veranstaltung außerhalb Österreichs zur Erinnerung stattgefunden und es ist keine einzige CD mit Werken des Jubilars auf dem Markt erschienen ...
? . . . Antworten . . . ?
Vielleicht - weil Karl Schiske immer sehr bescheiden war und sich nicht in den Vordergrund drängte. In seinem Komponieren war er sowieso "fernab der Welt". Das war dann ein langes und zähes Ringen um Geschlossenheit und Reinheit der Umsetzung des neuen Werks. Im letzten Jahrzehnt seines Lebens vergingen oft Jahre, bis er ein weiteres Werk veröffentlicht hat.
Vielleicht - weil ihm seine Kompositionsschüler und die musikalische Entwicklung des Landes Österreich wichtiger waren als sein eigenes kompositorisches Schaffen. So verschlossen er privat als Mensch war: Im Musikalischen war Schiske immer neugierig auf den Diskurs, das "anders sein" jedes einzelnen seiner Studenten - welche er nie dazu verleiten wollte, so zu komponieren wie er es tat. Sein Ehrgeiz war vielmehr mit zu helfen, dass jeder sich selbst entdecken und entfalten konnte und kann.
Vielleicht - weil er sich in diesem Bestreben danach, das Beste für seine Schüler zu erreichen oft dem Unverständnis von Kollegen und "oberen" Stellen aussetzte und dies wiederum auf seine Reputation zurückfiel und die mangelnde Bereichschaft maßgebender einflussreicher Stellen verursachte, ihm und seinem bedeutenden Oeuvre nachhaltig und über seinen viel zu frühen Tod hinaus zu Bewusstsein in der Musikwelt zu verhelfen - in etwa: Schiske, der unangenehme Mahner und Forderer, darf jetzt mal schweigen ...
Ein Beispiel: Der Komponist hat als Professor seinen Studenten der "Klasse Schiske" ein neues Tonstudio mit innovativster Technik (Elektronik, Tonbandmaschinen usw.) einrichten lassen, damit seine Schüler in ihrem Drang zu Experimentieren und sich zu entfalten nicht eingeschränkt waren. Das stieß in seinem beruflichen Umfeld auf viel Unverständnis, da im Österreich der 50ziger und 60ziger Jahre ein Komponieren unter Verwendung von Elektronik noch suspekt war und abgelehnt wurde. Schiske selbst komponierte ja so gesehen eher "konventionell" - aber es kann ihm nicht hoch genug angezurechnet werden, dass er seiner Kompositionsklasse diese bahnbrechenden Möglichkeiten eröffnet hat.
Vielleicht - weil er unzufrieden war mit dem Umgang mit der vermeidlichen Tradition und deren Auswirkungen auf die allgemeine Musikerziehung und das Musikleben - und weil er diese erkannten Missstände auch ganz klar aussprach. Nicht wörtlich zitiert, aber sinngemäß in etwa: "In Österreich gibt es - im Vergleich mit den USA - zu wenig Mut für Neues, zu wenig Uraufführungen und ganz besonders zu wenig Nachhaltigkeit - also dieselben neue Stücke auch öfters aufs Programm zu setzen, damit das Publikum sich an sie gewöhnen kann".
Vielleicht - weil er von Anfang an immer mehr zur Reinheit, zum Absoluten (also im Grunde Mathematischen) der Musik strebte. Das machte ihn in den Dreißigern nicht sonderlich attraktiv oder populär, dann kam der 2.Weltkrieg und nach dem Krieg war die bleierne Kulturpolitik durch die neue Staatordnung noch längst nicht abgelegt. Das dauerte noch bis in die 80ziger Jahre, wie die Zeitzeugen in dem sehenswerten Film "Evolution auf B" von Kurt Brazda berührend in österreichischer fatalistischer Bitterkeit und lächelnder Resignation darstellen. Schiske hätte, um breiter reüssieren zu können, noch die 70ziger und 80ziger Jahre erleben müssen.
Vielleicht - und das ist das Traurigste und Tragische - weil er mit 53 Jahren einfach zu früh starb, um ein starkes Netzwerk bilden zu können (was wohl mehr die Aufgabe seines Umfelds gewesen wäre, da ihm selbst nicht sehr an kompositorischer Reputation gelegen war!) und es seine Lust am musikalisch Ungesagten und sein Drang, immer wieder neuer Strukturen und Techniken zu entdecken ihm versagte, sein Schaffen mit einem ganz reifen abgeklärten Stil über der Sturm und Drang hinaus entwickeln zu können.
Aber wer weiß: vielleicht wäre Karl Schiske auch mit 70 und 80 noch nicht kompositorisch "angekommen", wenn er seine unbändige Neugierde eines Höhlenforschers im Schönbergschen Sinne nicht abgelegt hätte ...
Aber war er denn nicht sowieso "angekommen", immert im Hier udn Jetzt, da er ja jederzeit das umsetzte, was ihm im Augenblick als das Richtige und zwingend Notwendige erschien? Dass Schiske den Willen und die Fähigkeit besaß, für den Hörer zu schreiben (über jegliches "verständlich sein wollen" hinaus, hat er in manchen Werken wie "Vom Tode" hinlänglich bewiesen. Das Divertimento op.49 - ein Stück, das schon dem Titel nach Vergnügen bereiten soll und es auch wahrlich tut! - lässt vermuten, dass Schiske auch weiterhin ein Komponist gewesen wäre, der die serielle (oder danach noch andere) Musik, in welcher er Schönheit, Expressivität und Sinnlichkeit ausdrücken konnte, vielen Musikliebhabern hätte näher bringen können. Aber warum so einschränkend: Karl Schiske hat es mit einigen Werken je bereits getan!
Vielleicht . . . und was wäre gewesen, wenn . . .
Es ist nun mal so wie es ist.
Erfreuen wir uns an dem, was Karl Schiske uns zur Freude und zur Anregung hinterlassen hat.
ABER - wie Kurt Brazda so lapidar wie treffend sagte:
Er muss halt auch AUFGEFÜHRT werden, damit man die Musik auch HÖREN hören kann . . . !!!
Und ich ergänze:
Die Musik von Karl Schiske muss auch ganz besonders auf Tonträger AUFGENOMMEN werden, da die Chance für eine Verbreitung von unbekannter, vergessener und neuer Musik heutzutage zum allergrößten Anteil in der Präsenz von Tonträger (CD, DVD usw.) liegt! Auch deshalb ist der Film von Kurt Brazda als "Weckruf" wichtig - wenn halt auch dieser für Interssierte leicht zugänglich wäre!
Nochmals: Sowohl der hundertste Geburtstag als auch der fünfzigste Todesjahr gingen am Buchmarkt als auch an der CD-Industrie (weder gab es CD-Veröffentlichungen von vorhandenen Tonaufnahmen noch entstanden aktuelle Einspielungen) völlig spurlos vorbei! Der österreichische Rundfunk hat ein paar Sendungen produziert, die zwar im Internet erwähnt, aber längst nicht mehr als Podcast abrufbar sind. Was nützen Beschreibungen und Fotos einer Mahlzeit, wenn man diese nicht riechen und schmecken kann ...
Auf meiner Seite hier versuche ich einen kleinen Lichtblick für alle diejenigen zu setzen, die neugierig auf und offen für die Musik von Karl Schiske sind - und welche Musik als eine Herausforderung ansehen. Demjenigen, der glaubt dass ihn bei bei Schiske vielleicht nur verstaubte Vergangenheit oder blutleerer Konstruktivismus erwartet, rate ich:
Hören und erleben Sie selbst, wie lange es dauert und wie viel geistige (und seelische!) Auseinandersetzung es benötigt, bis ein Werk wie "Vom Tode", die Vierte Symphonie oder das Divertimento wirklich verinnerlicht und in seiner Fülle erlebt ist und welch große Befriedigung und was für eine eigene Entwicklung dieser Prozess der Aneignung bringt - gerade
weil
dieser Prozess (wie jedes Aufbauen einer liebevollen Beziehung) auch mühevoll ist!
JEDER sei hier angeregt ermutigt, bei der Rezeption des Komponisten Karl Schiske mitzuwirken:
Musiker, Dirigenten, Konzertveranstalter, Schallplattenlabels, Rezensenten, Autoren, Essayisten . . .
Über das Informieren und neugerig machen hinaus soll diese Seite hier somit auch zur Kontaktaufnahme und zum Austausch dienen!