Wilhelm Furtwängler (1886-1954)
Weitere Unterseiten auf meiner Wilhelm Furtwängler Seite:
Gedanken zum Komponisten Furtwängler und dessen kompositorischen Werks
Vorab ein ganz wunderbarer Text voller Liebe und tiefstem Verständnis zu Furtwänglers kompositorischem Werk von Georg Alexander Albrecht. Dort ist jedes Wort wohl gesetzt und bedeutungsvoll. Auch wenn ich vom Dirigenten Albrecht nicht restlos begeistert bin, so nah ist mir der musikalische Spürer und Denker Albrecht und so sehr schätze ich ihn für sein Verständnis und seine Liebe zu Furtwänglers Werk. Und natürlich für die unschätzbare Großtat der Herausgabe einer kritischen Gesamtausgabe von Furtwänglers Werken. Somit kann man mit Recht behaupten, dass wohl kaum ein anderer Mensch so tiefen Einblick in das Werk dieses weit unterschätzen Komponisten hat wie George Alexander Albrecht:
In Furtwänglers Sinfonien begegnen wir einer formalen Weiträumigkeit, wie sie nicht einmal bei Bruckner und Mahler anzutreffen ist. Dennoch haben wir es mit strengen Sonatensätzen, Lied- oder Variationsformen zu tun. Oft ist es auf den ersten Blick nicht auszumachen, wo ein Thema seine endgültige Gestalt erreicht hat. Bei Furtwängler entwickeln sich die Themen und daher die Formen erst allmählich, vergleichbar den Phänomenen der Tier- und Pflanzenwelt. Alles ist aufeinander bezogen, in fließender Entwicklung, nichts ist starr nebeneinder gesetzt.
Seine Harmonik genießt gänzliche Freiheit von jeglicher Doktrin. Sie folgt dem Gesetz der seelischen Entwicklung. So finden wir an Stellen der inneren Ruhe reine Homophonie, während Bitonaltät und Politonalität Konflikt und Auseinandersetzung kennzeichnen. Ganz selten überschreitet Furtwänglers Musik die Grenzen funktionaler Deutbarkeit, auf diese Weise bekommt die "Atonalität" allerdings höchste Signifikanz (3. Sinfonie)!
Von Furtwänglers Melodik möchte ich sagen: Sie hat einen angeborenen Adel. Ihre Natürlichkeit und Fassbarkeit wird seinen Werken auf Dauer einen sicheren Platz im Herze des Publikums erobern.
Die Instumentation ist ausgesprochen brilliant, spieltechnisch wird jedem Instrument äußerste Virtuosität abverlangt. (George Alexander Albrecht)
Texte Furtwänglers, die sein Verständnis des Komponierens und der Rezeption von Musikwerken beleuchten:
"Auf ein Kunstwerk muss man sich einstellen, das heißt es ist eine verschlossene Welt, eine Welt für sich. Dies Sicheinstellen heisst Liebe. Sie ist das Gegenteil vom Abschätzen, vom Vergleichen. Sie sieht das Unvergleichbare, Einzigartige. Die offene Welt, die Welt des abschätzenden Verstandes wird nie einem einzigen Kunstwerk gerecht." (Wilhelm Furtwängler)
"Ich muss die Empfindung haben ins Grenzenlose zu gehen" (Wilhelm Furtwängler)
Von Hans Müller-Kray auf einen möglichen Konflikt zwischen Dirgieren und Komponieren angesprochen sagt Furtwängler:
"Das Komponieren ist eine Sache, die rein aus der Situation der Gegenwart geschehen kann, wenn sie überhaupt einen Sinn haben soll, während alle vergangene Kunst hat ihre eigenen Gesetze in ihrer Zeit gehabt. Das Dirigieren ist eine Sache der Einfühlung, das Komponieren ist eben doch eine schöpferische Angelegenheit und infolgedessen kommen auch diese beiden Tätigkeiten niemals in Kollision. Ich kann nicht für meine Kompositionen Erfahrungen verwerten, die ich als Kapellmeister gemacht habe. Im Gegenteil scheint es mir aber ein großer Vorteil, wenn ein Komponist auch als praktischer Musiker tätig ist, sowie es ja tatsächlich früher die grossen Musiker alle waren. Erst die letzte Zeit ist die Spezialisierung so weit gekommen, dass der Komponist also nur da sitzt und Partituren schreibt und der Kapellmeister schief angesehen wird, wenn er auch komponiert - nicht wahr ... ?" (Wilhelm Furtwängler)
Und hier nun ein paar persönliche Anmerkungen zum Komponisten und zu seinem Werk:
zum Narrativ "Furtwängler als Komponist war unzeitgemäß, weil ein postromatischer epigonaler Komponist"
Die reiferen Kompositionen Furtwänglers wurden von 1935 bis 1954 fertiggestellt und sind schon aus diesem Grund im Sinne einer zeitlichen Epoche keine "romantische Musik". Auch andere Musiker des 20ten Jahrhunderts (neben Furtwängler übrigens auch die hier vorgestellten Komponisten Alfvén, Atterberg, Pfitzner, Schmidt, Zemlinsky, aber auch Schostakowitsch, Pettersson u.v.a.) haben sich auf verschiedene Weise sowohl inhaltlich als auch kompositiorisch mit der Romantik auseinandergesetzt. Deren Werke sind aber aus diesem Grund per se keine romantischen Kompositionen - im Sinne eines inneren Seelenzustands, wenn dieser ganzheitlich gesehen als nicht zeitgemäß bewertet wird.
Dazu ein Axiom: Kompositionen des 20ten Jahrhunderts können in einem das ganze ausblendenden quasi rückwärtsgewandten Sinn nicht "romantisch" sein, denn jede ernsthaft vollumfängliche und seelische Musik ist in ihrer Zeit verankert oder reflektiert. Dabei ist irrelevant, ob man sie als originell, modern, unzeitgemäß oder epigonal bezeichnet. Das Seelenleben des Komponisten ist unausweichlich mit der Zeit, in der der Komponist lebt verbunden und davon beeinflusst. Das hat nichts mit einem bestimmten Klang oder einer Interpretationsweise zu tun. Randbemerkung: Der Wunsch bzw. Anspruch eines bestimmten zeitgemäßen Komponierens findet nur in der Erwartungshaltung "gebildeter" Hörer, Musikwissenschaftler oder Kritiker statt ...
Da ein Axiom kein Beweis ist, möchte ich hierzu noch weiterführende Gedanken zum Punkt Musikepochen und deren Zeitgemäßheit anregen - auch zu deren nicht eindeutigen Abgrenzungen untereinander und der Prüfung deren Inhalte.
zu Klassifizierungen und Bewertungen: Alte Musk, Renaissance, Klassik, Romantik, Moderne - und deren kreative Verarbeitung ...
Der Wunsch bei hochkomplexen Informationen, Zusammenhängen und Entwicklungen zum besserem Verständnis und Übersichtlichkeit das Mittel einer Einordnung und Klassifizierung einzusetzen ist verständlich. Es gibt Bereiche, in denen das eindeutig hilfreich ist (z.B. in der Wissenschaft) und andere, in denen es weniger sinnvoll erscheint oder zumindest dabei die Gefahr besteht, dass das Wesentliche oder ganz Spezifische eines Phänomens/Vorgangs oder schöpferischen Prozesses außer Acht gelassen wird - so in der Musik. Dazu ein paar Gedanken: Wir haben alle in der Schule gelernt, dass Bach und Händel Komponisten des Barock sind, Haydn Mozart und Beethoven der Klassik und Schubert, Schumann und Brahms der Romantik zuzurechnen sind - und natürlich, dass Schönberg 12-Töner ist.
Genauer betrachtet erscheint manches doch viel differenzierter: Es gibt eine fließende Grenze zwischen Barock und Klassik - z.B. bei C.P.E. Bach, der sogar Aspekte der Romantik und des 20ten Jahrhunderts vorwegnimmt. Beethovens "Erocia" und 9te können vollumfänglich kaum als Klassik bezeichnet werden - weder inhaltlich noch kompositorisch. Schubert ist Grenzgänger zwischen Klassik und Romantik, Harnoncourt bezeichnet Bruckner als ein "auf die Erde gefallenes Mondgestein", das Frühwerk von Schönberg, Berg und Webern hat stark romantische Aspekte und klingt nicht wirklich "modern".
Zudem haben Komponisten von frühester Zeit an Werke von Kollegen zitiert, umgeschrieben oder sogar als eigene ausgegeben. In den fortschreitenden Epochen wurden auch aus verschiedensten Gründen Stilemente aus früheren Epochen übernommen oder später im 19ten und besonders im 20ten Jahrhundert Stilkopien zur Grundlage von eigenen Kompositionen. Reger, Respighi, Strawinsky, Schnittke und ganz anders geartet Pärt verwendeten alle möglichen Inhalte und Kompositionstechniken aus alter Musik, Renaissance, Barock und Romantik an ... und schon Mozart hat in seiner letzten Sinfonie "Jupiter" eine quasi barocke Schlussfuge im Finale (vielleicht als überhöhende Steigerung) eingesetzt, um ein ganz bekanntes Beispiel zu kennen.
Es müssen aber auch keine deutlichen Zitate oder Stilkopien sein. Es genügen harmonische Wendungen, Eigenarten der Instrumentierung, das Erzeugen einer Stimmung, welche uns den "Atem" (=Inspiration) andere Komponisten oder Zeiten spüren lässt. So kann beim Hören eine zusätzliche Ebene des Erlebens oder eine "dialogische Verknüpfung" entstehen, welche z.B. im Jetzt eine Vergangenheit entstehen lässt. Das kann man durchaus als romantische Wesensart betrachten, weil es oft mit Sehnsucht, Verlust und unerreichbarer Ferne zu tun hat. Aber es kann in der Musik des 20ten Jahrhunderts auch weit mehr sein. Wenn Furtwängler in der 2ten und 3ten Sinfonie, welche beide nach dem Zweiten Weltkrieg fertiggestellt wurden, in Kontraststellen oder nach Momenten der Katastrophe in eine meditative innere Stille oder ein Verlöschen durch das Evozieren einer vom Krieg unberührten Unschuld der Vergangenheit klingt, dann ist das eine aktuell erlebbare Wahrheit.
... und Epigonentum
Angesichts dieses im Grunde seit Jahrhunderten praktizierten Vorgehens der Verarbeitung von Altem für etwas Neues stellt sich die Frage, wann dies ein kreativer Prozess ist und wo es sich um reine Übernahme von Altem oder schon gehörtem in nichts neu Geschaffenes handelt - also um Epigonentum. Und nach welchen Kriterien das zu beurteilen ist. Dazu gäbe viel Subjektives und wenig Objektives zu sagen, was man anderswo nachlesen kann.
Ich will aber nur mit einer Frage einen Aspekt erwähnen, welcher bei all den Abhandlungen kaum bedacht wird:
Worin besteht der Bezug von kreativ oder epigonal dazu, was die Menschen heute oder jedes höchst unterschiedliche Individuum bewegt und inwieweit hat das auch Einfluss auf das Erleben der Musik? Ich meine die ganz persönliche Resonanz des individuellen Hörers ...
Tröstlich ist bei dem vielgestalten Thema, dass eine eigene Seite zur Betrachtung bräuchte, dass das Erleben von Musik sich um keine dieser Regeln und Fragen und Bewertungen schert. Denn Resonanzen, also das Berührt Sein von Musik, speisen sich aus dem eigenen Erleben des Hörers und dessen eigenem Erlebnishorizont. In diesem Bewusstsein des sich beschenken Lassens ist Musik fernab von Einordnungen und Bewertungen ungemein wertvoll und stärkt uns als mit allem verbundene Menschen in unserer Individualität!
ich schreibe hier (und generell auf
klangrede) in dieser Weise über Regeln und Bewertungen, weil ich Sie, den Leser, neugierig auf Unbekanntes machen und Sie zudem ermutigen möchte, sich dabei nicht von Standards der Musikwissenschaft, Kritikern oder "Klassik-Päbsten" beeinträchtigen zu lassen. Das geistige und seelische Leben und Erleben ist frei und nur wir selbst können uns diese Freiheit nehmen.
zu Melos, Form und Struktur in Furtwänglers reifen Kompositionen
Musikalische Ideen brauchen passende Formen, in denen sie sich zeigen und entwickeln können. Diese Form wird sich sinnvollerweise nach dem Wesen und der Art der Idee(n) richten. Bei Furtwängler ist die Anlage immer in eine Großform - im Kopfsatz und teils auch Finale eine erweiterte Sonatenform (im Sinfonischen, im Konzert und auch in der Kammermusik), in der die weit gesponnene melodische Erfindung meist in einer fragmentarischen Idee angelegt ist. Diese Themen sind kaum in konventionellem Sinne in sich abgeschlossen und ähneln eher langen Motiven. Sie haben zumeist offene Enden - zu verwenden für eine quasi meditative Schleife bzw. Ohrwurm oder sie bieten "Andockplätze" für eine organische Entwicklung. So z.B. im Kopfsatz der zweiten Sinfonie in e-moll: Hier sind es mehrere lyrische "Themen", welche sich ähnlich sind und quasi verschiedene seelische Aspekte einer lyrischen Idee darstellen. Die zeigen sich in in wechselnden Schattierungen und eine gewisse Art von Durchführung findet schon in der Exposition statt. Als Vorbild kann man hier das Dreiklangshauptthema aus Beethovens "Erioca" ausmachen, dessen Anfangsmotiv am Ende sofort in einen harmoniefremden destabilisierenden Ton "abtaucht". Schon im "Eroica" Kopfsatz ist das Prinzip einer fortwährenden Durchführung zu finden, das Furtwängler in der 2ten einerseits noch steigert, andererseits aber wieder in klarere Blöcke fasst, wie Bruckner es getan hat.
Es gibt als andere Variante eines Themas auch kurze in sich abgeschlossene "Statements" - z.B. im (leicht spanisch angehauchten) Blech am ff-Höhepunkt des Scherzo der 2ten. Als dritte Variante gibt es immer wieder mal absoluten Stillstand - eine meditative Stimmung größter Intensität, stiller Einkehr oder schmerzlichen Erinnerns: Z.B. in der 2ten kurz vor Ende des Kopfsatzes, im zweiten Satz und im Trio des Scherzos.
Es gibt immer wieder entwickelte quasi heroische Forte-Stellen. Diese signifikante Eigenart findet sich auch bei Bruckner - z.B. in der Durchführung im Kopfsatz der 9ten. Was bei Bruckner gern als Glaubensaspekt gedeutet wird (denn hier befindet man sich auf sehr subjektivem Terrain) könnte bei Furtwängler auch Zeitgeist sein. Furtwängler hatte keinerlei inneren Bezug zum Nationalsozialismus, aber das Gefühl für und die Sehnsucht nach Größe war in ihm zutiefst verwurzelt. Das wundert nicht angesichts seines Elternhauses (der Vater war berühmter Archäologe und auch Furtwängler fühle sich zur klassisch-großen Antike hingezogen) und die Erziehung durch einen Privatlehrer, der dem Jugendlichen auch eine äußerst umfangreiche literarische Bildung vermittelte. Ein Bescheiden oder Einfügen in einen sozialen Rahmen war da nicht angesagt.
Wenn man Furtwänglers Kompositionen kennenlernt, dann kann dieser Hang nach Expansion, Größe und diese oben beschriebene Kompositionsweise mit den nicht zu Ende geführten Themenfetzen und dem daraus entstehenden organischen Urwald zuerst einmal verstören und das Erfassen des Ganzen durch Erinnern erschweren. Kompositorisch-gestalterisch erweist sich dieses Vorgehen der "offenen Enden" jedoch als genial probates Mittel für die Umsetzung der gesamten kompositorischen Idee: denn Furtwängler vermeidet damit das manchmal Kleingliedrige und allzu Durchsichtige in Werken der Klassik und die Wahrnehmung des Inhalts bleibt für den Hörer auf der seelischen Ebene. Als quasi Preis erfordern die Kompositionen Furtwänglers vom Hörer Geduld, Ausdauer und eine wiederholte Beschäftigung mit dem Werk, damit das Erinnern dann die klassisch klare Struktur erkennbar macht. So weit in der Wahrnehmung und Erkenntnis gediehen werden diese Werke und einzelnen Themen Kopf, Seele und Geist des Hörers nicht mehr verlassen.
zur organischen Entwicklung, Entgrenzung und Tragik in Furtwänglers Werk
Noch ein paar Gedanken zu wesentlichen Aspekten, welche Furtwänglers Werke so einzigartig machen: Wie Georg Alexander Albrecht es obenstehend beschrieben hat - Furtwänglers formale Weitläufigkeit ist einzigartig und wohl nur mit Allan Petterssons Sinfonien vergleichbar. Verläufe, Entwicklungen und Steigerungen vollziehen sich über weite Bögen - manchmal zuerst unmerklich. Es ist alles quasi als Seelenmusik dem innersten menschlichen Empfinden abgelauscht: Veränderungen der Stimmung und Erscheinungen geschehen nicht plötzlich, werden nicht umgehend wahrgenommen und sind dann, wenn sie Gewissheit werden, nicht mehr abzuwenden. Manchmal als stilles Glück, manchmal als Bedrohung, als aufgewühlter Zustand oder als tiefste Resignation und Hoffnungslosigkeit. Es gibt kaum eine Musik, welche in sich gefangener und einsam verlassener sein kann als manche Stellen in Furtwänglers Werken. Dazu ein vergleichendes Beispiel für einen tragischen Schluss:
Das Ende von Mahlers 6ter mit dem Untertitel "Tragische" ist ein quasi Choral im piano. Auch wenn dieser Choral nach der voraus gegangenen Katastrophe quasi zerstört und in Auflösung begriffen ist, so kann der Hörer sich an ihm "abarbeiten": Denn es ist quasi der Tod des "Helden", mit dem man sich identifizieren kann.
Die letzten Momente von Furtwänglers Symphonischem Konzert für Klavier und Orchester h-moll sind nur noch das, was sie sind: Eine endende Musik ohne Ende. Nicht unähnlich der letzten Minuten der Mahler 9ten versucht das Soloklavier nach einem letzten Aufbäumen und Zusammenbruch des Orchesters auch hier noch einmal das - ebenfalls nie zu Ende geführte - Hauptthema zu vollenden. Auch in der Mahler 9ten ist es das Ende eines Menschen. Bei Furtwängler ist es in dem Klavierkonzert am Ende das Werk selbst, das "stirbt". Der Hörer erlebt das Scheitern der Komposition selbst - vielleicht sogar ein Verlöschen der Inspiration, also den Tod des "Wesens" dem ich über eine Stunde zugehört habe.
Diese Resonanz erlaubt kaum mehr keine Ausflucht auf eine andere Ebene, sondern der Hörer im Konzert oder vor der Musikanlage erlebt unmittelbar das Unvollkommene, das Scheitern und somit vielleicht sogar das persönliche Gefühl eines Irrtums oder Bedauerns, Zeit dafür verwendet zu haben.
Mir ergeht es nicht so: Als ganzheitlich denkender und empfindender Mensch schätze ich mich glücklich, das so erleben zu dürfen.
sehr ganzheitlicher Exkurs zu Resonanzen: Komponist - Werk - Hörer
Nun bin ich beim letzten und mir wichtigsten Gedanken dieses Exkurses angekommen - beim weiter oben schon erwähnten Hören in eigener Resonanz. Der Begriff Resonanz bedeutet laut Definition das "Mitschwingen oder Mittönen eines Körpers mit einem anderen". Beim Phänomen Musik ist das sowohl wörtlich als auch im übertragenen Sinne des emotional seelischen Berührt Seins des Hörers gemeint.
Dazu nochmals ein Axiom: Niemand mit offenem Ohr wird Furtwänglers Musik unbeteiligt hören können!
Natürlich können Menschen diese Musik auch als nichtssagend empfinden oder man kann sie beim Abspülen nebenbei hören kann, ohne darauf zu achten. Aber ich meine damit die Situation des Sich-darauf-Einlassens - also wenn man die Zeitdauer des Werks zuhört und nichs anderes nebenbei tut.
Die Musik Furtwänglers kann berühren, die Fantasie anregen, man kann sie als eine Geschichte erleben oder sich von ihrer vitalen Energie samt hysterisch klaustrophober Schleifen und Steigerungen mitnehmen lassen. Man kann fasziniert sein von der scheinbar romantischen Tonsprache, unter deren Oberfläche das gebrochene 20te Jahrhundert liegt - besonders in den unendlich verlorenen Momenten der Sehnsucht nach heiler Welt, Jugendtagen und Frieden und wahrer und reiner - nämlich geistig seelisch spiritueller - Größe ...
Man kann in die Musik und die eigenen Resonanzen eintauchen und sich selbst dabei wahrnehmen: Die eigene Zuversicht und Kampf und Erinnerungen und Suche - und auch Unvollkommenheit, Banalität, Schmerz und Scheitern. Furtwänglers Musik mag bei einem neugierigen für alles offenen Menschen unbekannt und überraschend im Tonfall sein, ein anderer empfindet sie vielleicht als nervig, trostlos oder nicht konstruktiv und apollinisch genug.
Resonanzen in der Musk - oft vielleicht folgender Art gesucht:
Gewohntes, das angenehme Empfindungen oder Erinnerungen hervorruft, etwas das nicht allzu sehr herausfordert. Einfach Schönheit genießen, sich vom Genialen / Göttlichen berühren lassen. Vielleicht nicht allzu viel Mühe auf Entdeckungen von Neuem verwenden - am ehesten noch von bereits "anerkannter" schwierigerer Musik, über die man als intellektuelle Anregung auch kluge Dinge lesen kann (wenn die Musik schon nicht begreiflich ist).
Welche Resonanzen wohl nicht gesucht sind:
Ich denke, wir wollen nicht persönlich unangenehm berührt werden. Vielleicht ahnen wir schon im Voraus oder nach ein paar Sekunden des Hörens, dass da etwas in der Musik nicht in unsere Hörgewohnheiten passt und wir sie ablehnen werden - also lassen wir es in diesem Fall lieber ganz. Oder das unbekannte Stück dauert einfach zu lange (als Analogie: wie lange kann ich einem Menschen wirklich zuhören, wenn mir ein Thema fremd ist, ich es unangenehm finde oder es mich scheinbar nichts angeht?) ... oder ich habe schon etwas über den Künstler oder das Werk gehört, was mir nicht gefallen hat. Ist das nicht derjenige, der ...?
Z.B. bezüglich Schönberg das gängige Narrativ: Das kann man nicht anhören, verkopfte dissonant unverständliche Musik usw. ... Aber nach dem Hören der sehr eingängigen "Gurrelieder" wäre die Bewertung des Komponisten wohl differenzierter. Und dazu muss man die Werke erst mal selbst hören ...
Ich denke, alles im Leben hat mit Resonanzen zu tun. Und an diesen Resonanzen erfahren wir uns selbst. Wenn wir die Erfahrungen durch Resonanzen auf Dauer zu vermeiden suchen geraten wir in Disbalance und werden seelisch oder körperlich krank - oder wir verkümmern zumindest und nützen nicht mehr unseres menschliches Potenzial. Furtwängler, der ja durchaus den Hang zu großen übergreifenden Zusammenhängen hatte, würde vielleicht sagen: Wir werden also nicht unserer Aufgabe als Mensch und somit der menschlichen Gesellschaft gerecht.
3. Mai 1935, Alte Berliner Philharmonie, Beethovenkonzert. In der ersten Reihe Adolf Hitler, Hermann Göring und Joseph Goebbels wie Chorknaben, angeregt applaudierend und fast andächtig zum Dirigenten hinaufschauend, der sich stellvertretend für sein Orchester, die Berliner Philharmoniker, zum Publikum verbeugt. Das Publikum klatscht sicherheitshalber für alle. (Text zum Bild der Rheinischen Post 29.3.2019)
und nochmals Furtwängler
Furtwängler als Mensch, Dirigent und Komponist: Kaum ein deutscher Musiker (neben Karajan - mit anderen Vorzeichen) spaltet bis heute die klassische Musikwelt mit Geschichtsverständnis wie dieser vielschichtige und immer noch kaum "objektiv" ohne ideologische Festlegungen zu fassende Musiker. Das dritte Reich ist nach wie vor der Stachel in der Deutschen Geschichte - ob als nicht zu vergessende Mahnung oder "Fliegenschiss der Geschichte" ... Und Furtwängler ist mittendrin - ob man ihn nun stark polemisiert formuliert als Helfer der Opfer oder Gehilfen der Täter sieht. Über seine Geschichte in der Geschichte und Stellung (im doppelten Sinne) als Dirigent und zeitweise Amtsträger im Dritten Reich kann man mittlerweile doch viele Essays lesen. Nach wie vor noch immer völlig im Dissens. Aber nicht mehr dazu, da ich auf anderes hinweisen möchte, was mit Resonanzen zu tun hat.
Nun war dieser Mann zudem auch Komponist - ja: er selbst sah sich zuallererst als Komponisten an, was selbst viele Furtwängler Bewunderer so nie sehen würden. All das kann allein schon ablehnende Resonanzen wecken - ohne je eine seiner Kompositionen gehört zu haben. Dazu kommt, dass seine Werke allesamt zwischen minimal 45 und 80 Minuten lang sind - also wirklich umfangreich. Sie sind auch nicht fröhlich unbeschwert oder leicht fasslich. Furtwängler bezeichnete sich selbst als "Tragiker" - und mehr oder weniger tragisch sind alle seine Werke (vielleicht mit Ausnahme der 2ten Violinsonate). Nicht genug damit: bei oberflächlichem Hören mag die Musik als geschwätzig, verschwurbelt, dräuend oder aufgeblasen erscheinen. Oder einfach zu spät romantisch leer - ohne Originalität, Substanz, klare Einfälle und Struktur. Wie gesagt: wenn man sich nicht auf die Musik einlässt ...
Sowenig wie das stimmt, so treffend ist es doch in gewisser Aspekten: Denn es war nicht die Absicht des Komponisten eine Zuhörerschaft mit leichter Kost zu erfreuen. Und die Tragik seines Fühlens ist auch Inhalt. Somit kann man sagen, dass die Kompositionen Furtwänglers selbstbezogen sind. Und die Art des Komponierens in der Fortführung von Brahms organischer Kompositionsweise, Bruckners Größe und Mahlers menschlicher Tragik machen Furtwängler in der Steigerung der kompositorischen Mittel und des Inhalts fachlich angreifbar und im Hören erst mal anstrengend.
Dazu kommt, dass Furtwängler sich ziemlich im Rahmen der Tonalität hält und auch keine offensichtlichen kompositorischen Experimente vollzogen hat. Im Zusammenhang mit seinem Verbleiben in Deutschland im Dritten Reich könnte man ihm also auch noch "staatsgesinnungskonformes Komponieren" vorwerfen - was allerdings völlig ungerechtfertigt wäre: Furtwänglers Stil war seit den 1910er Jahren klar und zudem hat er sich als Komponist aktiv eh nicht in den Vordergrund gespielt. Erst ab 1948 hat er eben seine 2te mehrmals aufgeführt. Im Dritten Reich war nur das Symphonische Konzert für Klavier und Orchester (mit Fischer) und die zweite Violinsonate (mit Kulenkampff) zu hören.
Also:
Mögliche "problematische" RESONANZEN eines Klassikhörers sind nun zuhauf aufgeführt. Nochmals den Gedanken aufgegriffen: Was hat es für einen "Nutzen" oder Sinn etwas zu tun (und Hören von 45 bis 80 min Musik ist auch ein "Tun"!), das uns vielleicht Überwindung kostet?
EINE Antwort: eben DIESE ÜBERWINDUNG SELBST ... Etwas Neues zu wagen ... "Jemand" Unbekanntem (ob Komponist oder Werk) zuzuhören ... Eventuelle Resonanzen auszuhalten und diese anzusehen.
Wir leben ja in gesellschaftlich politisch turbulenten Zeiten und im Wandel - und genau diese Meriten tun zur Heilung von Mensch und Gesellschaft Not.
Vielleicht kann ich mit diesem ganzheitlichen Ansatz neugierig machen - falls es überhaupt nötig ist ...
... denn das Schöne, Anziehende, Berührende und Großartige kann ja jeder selbst beim Hören zu entdecken suchen - oder es überfällt ihn sogar ...
In diesem Sinne zum Schluss nochmal ein "Lanzenwort" zu Furtwänglers Dritter: DAS ist Musik des 20ten Jahrhunderts, ja in ihrer Katastrophe und dem Verlöschen (Klimax und Schluss des Kopfsatzes) Nachkriegsmusik, desillusioniert. Und dennoch erklingen Visionen und "unverschämte" Hoffnung. Wenige Komponisten haben so persönlich, mutig und dennoch resigniert und ohne äußeren Anspruch über Hoffnung, Vision und Scheitern "gesprochen" - so ist zumindest mein Empfinden...
Anmerkungen zu ausgewählten Kompositionen
... finden Sie auf welche hier unter
Furtwängler - Gedanken zu Werken
...
NEUESTE REZENSIONEN ZU FURTWÄNGLER:
FURTWÄNGLER WARNER BOX (55CDs) - Download PDF-Datei:
und noch ein diesbezüglicher Download:
Furtwängler-Box (55CD): Register nach Komponisten mit CD und Track Angaben zum leichteren Auffinden:
Joachim Wagner
Gartenbeetstraße 5
73527 Schwäbisch Gmünd
Email: joachim-a-wagner@gmx.de
Mobiltelefon: 0152 - 53937345